Gedichtinterpretation-gestellte Lyrik zu leicht oder zu schwer?

    • Offizieller Beitrag

    Hallo,
    am Donnerstag schreibt meine elfte Klasse eine Gedichtinterpretation.
    Wir haben die Epochen von Aufklärung bis Expressionismus in einem kurzen Durchzieher behandelt und auch exemplarisch einige Gedichte besprochen.
    Nun ist die Klasse nicht sehr leistungsstark und auch nicht - willig, so dass ich ein mittleres Niveau der zu behandelnden Gedichte auswählen möchte, einerseits, zum sie zu fordern, andererseits, um ihnen nichts zu schenken.
    Es geht darum, eines der beiden Gedichte hinsichtlich Form, Sprache und Inhalt zu interpretieren.
    Vielleicht guckt einer von euch mal drüber und sagt mir, was ihr davon haltet und ob ich mit meiner Einschätzung richtig liege.
    Ihr wisst, manchmal überkommt einen die Unsicherheit...
    Super wäre auch, wenn einer das konkrete Entstehungsjahr des oberen Gedichtes wüsste.


    Drohende Aussicht (Richard Dehmel, ca. 1895)
    Der Himmel kreist, dir schwankt das Land,
    vom Schnellzug hin und her geschüttelt
    saust Ackerland um Ackerrand,
    ein Frösteln hat dich wachgerüttelt:
    die Morgensonne kommt.


    Mühsam entstiebt dem Nebelzelt
    ein Krähnvolk, herbstlich abgemagert,
    indes sich dick aufs Düngerfeld
    der Frührauch der Fabriken lagert;
    die Morgensonne kommt.


    Schwarz schiebt sich durch den grauen Flor
    ein langer Zug von Schlackenbergen,
    Schornstein an Schornstein schnellt empor,
    schreckhafte Hüter neben Särgen;
    die Morgensonne kommt.


    Vom Horizont her nahn mit Hast
    und einen sich zwei Straßendämme,
    von Apfelbäumen eingefaßt,
    schon blaß beglänzt die knorrigen Stämme;
    die Morgensonne kommt.


    Jach folgt zum andern Himmelssaum
    dein Blick den fruchtberaubten Zweigen,
    und plötzlich siehst du Baum an Baum
    sein brandrot glühendes Laub dir zeigen:
    der Tag ist da!


    Die Auswanderer
    (Ferdinand Freiligrath,1838 )
    Ich kann den Blick nicht von euch wenden;
    Ich muß euch anschaun immerdar:
    Wie reicht ihr mit geschäft'gen Händen
    Dem Schiffer eure Habe dar!
    Ihr Männer, die ihr von dem Nacken
    Die Körbe langt, mit Brot beschwert,
    Das ihr aus deutschem Korn gebacken,
    Geröstet habt auf deutschem Herd;
    Und ihr, im Schmuck der langen Zöpfe,
    Ihr Schwarzwaldmädchen, braun und schlank,
    Wie sorgsam stellt ihr Krüg' und Töpfe
    Auf der Schaluppe grüne Bank!
    Das sind dieselben Töpf' und Krüge,
    Oft an der Heimat Born gefüllt!
    Wenn am Missouri alles schwiegen
    Sie malten euch der Heimat Bild:
    Des Dorfes steingefaßte Quelle,
    Zu der ihr schöpfend euch gebückt,
    Des Herdes traute Feuerstelle,
    Das Wandgesims, das sie geschmückt
    Bald zieren sie im fernen Westen
    Des leichten Bretterhauses Wand;
    Bald reicht sie müden braunen Gästen,
    Voll frischen Trunkes, eure Hand.
    Es trinkt daraus der Tscherokese,
    Ermattet, von der Jagd bestaubt;
    Nicht mehr von deutscher Rebenlese
    Tragt ihr sie heim, mit Grün belaubt.
    O sprecht! warum zogt ihr von dannen?
    Das Neckartal hat Wein und Korn;
    Der Schwarzwald steht voll finstrer Tannen,
    Im Spessart klingt des Älplers Horn. Bitte wenden! ->
    Wie wird es in den fremden Wäldern
    Euch nach der Heimatberge Grün,
    Nach Deutschlands gelben Weizenfeldern,
    Nach seinen Rebenhügeln ziehn!
    Wie wird das Bild der alten Tage
    Durch eure Träume glänzend wehn!
    Gleich einer stillen, frommen Sage
    Wird es euch vor der Seele stehn.
    Der Bootsmann winkt! - Zieht hin in Frieden:
    Gott schütz' euch, Mann und Weib und Greis!
    Sei Freude eurer Brust beschieden,


    Sorry, dass es so lang geworden ist.
    Liebe Grüße
    Hermine

  • Hallo Hermine,
    wie lange haben deine Schüler denn für die Klausur Zeit?
    An meiner Schule schreiben die Elftklässler nur zweistündige Klausuren - da fände ich zumindest das untere Gedicht definitiv zu lang - wenn ich will, dass die Schüler in ihrer Arbeit wirklich in die Tiefe gehen...


    Das erste Gedicht finde ich eigentlich ganz geeignet - wobei ich nicht weiß, wo in eurem Unterricht die Schwerpunkte (thematisch, methodisch...) lagen.


    Gruß Delphine

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Delphine,
    danke für deine Antwort!
    Meine Schüler haben 135 Minuten Zeit, das sind 3 Schulstunden und muss eigentlich reichen, denke ich. Zur Not dürfen sie in die Pause reinschreiben.
    Gerade das zweite Gedicht ist schon mal in einem Test erprobt und für gut befunden worden- vom Inhalt her ist es ja dafür deutlich leichter zu verstehen und zu interpretieren als das erste.
    Wichtig im Unterricht waren vor allem Epochenmerkmal und sprachliche Mittel. Achja, und da reichen mir exemplarisch die wichtigsten auffälligen Sprachmerkmale.
    Liebe Grüße
    Hermine

  • Dann unterscheiden sich unsere 11. definitiv.
    Ich glaube meinen Elfern würde das erste Gedicht leichter fallen und das gibt auch hinsichtlich der Sprachuntersuchung sehr viel her. Ich lege allerdings imUnterricht auch viel Wert darauf, sprachliche Mittel zu analysieren und interpretieren.


    Im zweiten Gedicht würde ich einige Wörter noch erläutern (Fußnote mit Begriffsklärung), das ist schon sehr speziell.


    In 135 Minuten müsste die Gedichtanalyse zu schaffen sein.

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