Aus den Stuttgarter Nachrichten vom 8.12.05
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Keine Experimente
„Setzen, Sechs/" - Schulgeschichten im Südwestfernsehen
Von Tilmann Gangloff
Schule - jeder hat sie irgendwann durchge-macht, aber über ihre Geschichte weiß kaum jemand etwas: Kaiser Wilhelm war's, der in Deutschland die Schulpflicht eingeführt hat. Und man glaubt es kaum: Schon vor hundert Jahren sahen die unterschiedlichen Karriere-möglichkeiten ihrer Absolventen nicht an-ders aus als heute. Will sagen, unser Schulsys-tem ist hoffnungslos veraltet. In jenen Län-dern, die Deutschland beim Pisa-Test weit hinter sich gelassen haben, gelten schon seit Jahrzehnten andere Regeln. Hier zu Lande gab's die letzten Änderungen in der Weima-rer Republik. Damals wurde die Koedukation eingeführt, also der gemeinsame Unterricht für Jungen und Mädchen; die Nationalsozia-listen haben das ebenso rasch wieder abge-schafft wie die Sexualkunde.
All das lernt man in der ersten Folge der SWR-Reihe „Setzen, Sechs!". Laut Untertitel erzählen die Filme zwar „Schulgeschichten aus Deutschland", doch tatsächlich geht es um die eine Geschichte: wie sich das System bis zum Zweiten Weltkrieg und danach in Ost und West entwickelt hat. Derlei hätte eine reichlich trocken dargebotene Angele-genheit werden können, doch ein Kunstgriff verhindert, dass die Schilderungen allzu di-daktisch und trocken ausfallen: Zeitzeugen erzählen aus erster Hand, wie sie in den verschiedenen Unterrichtsformen gelacht und gelitten haben. Und damit es einen zusätzlichen Reiz gibt, sind es Prominente, die sich an ihre Schuljahre erinnern („Verlo-rene Kindheit"): Joachim Fuchsberger an „Mo-der und handgemachte Erotik", Elisabeth No-elle-Neumann an die ebenso strenge wie überraschend freizügige Philosophie im Bo-densee-Internat Salem, Dieter Hildebrandt an die Unterschiede zwischen Kindern aus ar-men und wohlhabenden Elternhäusern. Bloß auf dem Fußballplatz waren alle gleich.
Der zweite Film der Reihe (15. Dezem-ber) gilt den „Verpassten Chancen" nach dem Zweiten Weltkrieg. Allein in der sowjetisch besetzten Zone wagte man einen Neuanfang; im Westen kehrte man rasch zum klassi-schen dreigliedrigen Schulwesen zurück. Zu den Zeitzeugen zählen hier Ulrich Wickert, Petra Gerster und Katja Ebstein (West) sowie Peter Sodann und Katrin Saß (Ost).
Teil drei mit dem Titel „Experiment Schule", zu sehen am 22. Dezember, be-schreibt den Einfluss der gesellschaftlichen Umwälzungen nach 1968 auf Schule und Erziehungswesen. Über die Vor- und Nach-teile antiautoritärer Erziehung sprechen un-ter anderen der Sportler Dieter Baumann, die Schauspielerinnen Nina Hoss und Anja Kling sowie die Politiker Ute Vogt (SPD) und Guido Westerwelle (FDP).
am Donnerstag 22.30 Südwestfernsehen