Präteritum, Perfekt?!?

  • Hallo zusammen!
    Wer kann mir kurz helfen und mir genauer erörtern, in welchen Texten man Präteritum und in welchen man eher Perfekt benutzt?
    Ich stehe gerade etwas auf dem Schlauch.
    Zum Präteritum habe ich einen UB, und meiner Meinung benutzt man in Aufsätzen das Präteritum, sehe ich das richtig? Wann aber genau nutzt man das Perfekt?
    In einigen Sätzen in der Vergangenheit mit zeitlicher Reihenfolge nutzt man meiner Meinung nach beide Formen. Aber meine Mentorin sagt, dass man in der 3. Klasse beide Zeiten getrennt behandelt. Was gilt also für die 3 Klasse, und wie kann man es den Kindern transparent machen?
    Über eine kurze Antwort würde ich mich sehr freuen,
    lieben Gruß, die Schnita

  • Zitat

    schnita schrieb am 23.04.2006 09:45:
    Zum Präteritum habe ich einen UB, und meiner Meinung benutzt man in Aufsätzen das Präteritum, sehe ich das richtig?


    Nein! In Aufsätzen benutzte man nicht das Präteritum, obwohl sich diese Unsitte heutzutage in vielen Schüleraufsätzen zeigte. Aufsätze (und auch Inhaltsangaben!) werden selbstverständlich im Präsens geschrieben.


    Das Präteritum ist die allgemeine Vergangenheitsform und wird verwendet, um über vergangene Ereignisse zu berichten, die schon beendet sind: "Von 1974 bis 1978 ging ich auf die katholische Grundschule in Garrel." Das Präteritum wird auch dazu verwendet, Vergangenes ohne bestimmte zeitliche Zuordnung zu berichten - es ist die typische Zeitform für eine Geschichte: "Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald."


    Das Perfekt richtet die Perspektive aus der Gegenwart auf ein Ereignis, dass mit der Gegenwart in Beziehung steht: "Ich habe dir schon hundertmal gesagt, du sollst endlich die Zeitformen lernen!!" "Kannst du mir mal helfen? Ich komme mit dem Telefon nicht klar, obwohl ich die Bedienungsanleitung gelesen habe..."


    Im informellen Sprachgebrauch ersetzt das Perfekt das Präteritum: "Ich hab den Müll schon heute morgen 'runtergebracht."


    Die Vorzeitigkeit Perfekt-Präsens wird in der Vergangenheit durch Plusquamperfekt-Präteritum ausgedrückt: "Der Busfahrer hatte an diesem Morgen seine Maschinenpistole eingesteckt, deshalb bereitete der Schwarzfahrer keine Schwierigkeiten."


    Den "doppelten Perfekt/Plusquamperfekt" gibt es im Standarddeutsch nicht: "Ich habe die Grammatik noch nicht gelesen gehabt." / "Tante Amelie hatte noch nie so ein richtiges Gefühl für Sprache gehabt."


    Nele

  • Zitat

    "Der Busfahrer hatte an diesem Morgen seine Maschinenpistole eingesteckt, deshalb bereitete der Schwarzfahrer keine Schwierigkeiten."



    Es geht doch nichts über einen einprägsamen Merksatz...

  • Zitat

    Nein! In Aufsätzen benutzte man nicht das Präteritum, obwohl sich diese Unsitte heutzutage in vielen Schüleraufsätzen zeigte.


    Hmm, vielleicht liegt das daran, dass viele Aufsatzbücher (die für Lehrer) vorgeben, dass Aufsätze in der Vergangenheit geschrieben werden sollen (zumindest die, die ich kenne). Also vor allem Erzählungen; Vorgangsbeschreibungen oder Personenbeschreibungen sind auch dort in der Gegenwart, macht ja auch Sinn. Aber für Erzählungen (Bildergeschichte, Reizwortgeschichte, Fortsetzungsgeschichte...) finde ich es auch logisch, dass in der Vergangenheit erzählt wird. Oft fangen sie ja auch entsprechend an ("An einem wunderschönen Sommertag gingen Max und Peter auf den Spielplatz."; "Gestern Nacht hatte ich einen seltsamen Traum."...) Bisher habe ich es meinen Kindern allerdings freigestellt, weil wir die Vergangenheit noch nicht behandelt haben.


    In den Sprache-untersuchen-Büchern, die wir im Seminar zu diesem Thema durchgeschaut haben, steht (wohl vereinfacht als Regel für die Kinder) folgendes:


    Erstmal Unterscheidung Gegenwart - Vergangenheit (Vergangenheit für Vergangenes...). Die 1. Vergangenheit wird für Geschriebenes verwendet, die 2. Vergangenheit für Gesprochenes. Warte, ich schaue in meinem SU-Buch nach (Jojo):

    Zitat

    Tunwörter in der 1. Vergangenheit sind meistens ein Wort. Ich benutze die 1. Vergangenheit, wenn ich schreibe. Tunwörter in der 2. Vergangenheit sind zwei Wörter. Ich benutze die 2. Vergangenheit, wenn ich spreche.

  • Ich würde vermuten, dass die Auffassungen hier schulformabhängig sind. In der Grundschule sind die Zeitformen ja Lerngegenstand, im Weiterbildungskolleg (hoffentlich) bereits erlerntes Werkzeug.

  • Zitat

    biene maja schrieb am 23.04.2006 10:56:


    Hmm, vielleicht liegt das daran, dass viele Aufsatzbücher (die für Lehrer) vorgeben, dass Aufsätze in der Vergangenheit geschrieben werden sollen (zumindest die, die ich kenne). Also vor allem Erzählungen; Vorgangsbeschreibungen oder Personenbeschreibungen sind auch dort in der Gegenwart, macht ja auch Sinn. Aber für Erzählungen (Bildergeschichte, Reizwortgeschichte, Fortsetzungsgeschichte...) finde ich es auch logisch, dass in der Vergangenheit erzählt wird. Oft fangen sie ja auch entsprechend an ("An einem wunderschönen Sommertag gingen Max und Peter auf den Spielplatz."; "Gestern Nacht hatte ich einen seltsamen Traum."...) Bisher habe ich es meinen Kindern allerdings freigestellt, weil wir die Vergangenheit noch nicht behandelt haben.


    Das ist vollkommen richtig. Da auch in der Sekundarstufe immer mehr produktionsorientiert gearbeitet wird, gibt es auch zahlreiche Aufsatzformen im Präteritum.
    Wir können ja mal versuchen, eine Liste zusammenzustellen:
    Präsens:
    Inhaltsangabe
    Beschreibungen aller Art
    Interpretationen
    Erörterungen


    Das sind also alles eher Sachtexte.


    Präteritum:
    Erzählungen aller Art
    Tagebucheinträge
    Briefe über Ereignisse


    Das sind eher literarische Texte.


    Es fehlt übrigens - und wir m.E. kaum behandelt -, dass das Perfekt auch seinen Platz in der Inhaltsangabe hat: Ereignisse, die vor der eigentlichen Handlung liegen, werden im Perfekt berichtet!

    Zitat


    In den Sprache-untersuchen-Büchern, die wir im Seminar zu diesem Thema durchgeschaut haben, steht (wohl vereinfacht als Regel für die Kinder) folgendes:


    Erstmal Unterscheidung Gegenwart - Vergangenheit (Vergangenheit für Vergangenes...). Die 1. Vergangenheit wird für Geschriebenes verwendet, die 2. Vergangenheit für Gesprochenes. Warte, ich schaue in meinem SU-Buch nach (Jojo):


    Das finde ich gefährlich, weil es hochsprachlich falsch ist. Gerade wir im Süddeutschen benutzen das Perfekt fast ständig als Ersatz für das Präteritum in der Umgangssprache. Dass ein Sprachbuch, das ja der Hochsprache jenseits regionaler Besonderheiten verpflichtet sein sollte, dies aber legitimiert, ist für mich nicht akzeptabel.

    Erziehung ist die organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.

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  • Zitat

    Das finde ich gefährlich, weil es hochsprachlich falsch ist. Gerade wir im Süddeutschen benutzen das Perfekt fast ständig als Ersatz für das Präteritum in der Umgangssprache.


    Du meinst also, dass es falsch ist, weil wir in der gesprochenen Sprache eigentlich auch das Präteritum verwenden sollten. Hmm, das stimmt eigentlich. Eigentlich müsste man den Kindern doch auch im GS-Alter begreiflich machen können, dass das Perfekt dann verwendet wird, wenn ich eigentlich in der Gegenwart erzähle, aber das Geschehene schon vergangen ist (so ist es doch richtig, oder?). Dann müsste man den Merksatz umschreiben.


    Danke für den Einwand und liebe Grüße
    Biene Maja

  • Zitat

    biene maja schrieb am 23.04.2006 13:00:


    Du meinst also, dass es falsch ist, weil wir in der gesprochenen Sprache eigentlich auch das Präteritum verwenden sollten. Hmm, das stimmt eigentlich. Eigentlich müsste man den Kindern doch auch im GS-Alter begreiflich machen können, dass das Perfekt dann verwendet wird, wenn ich eigentlich in der Gegenwart erzähle, aber das Geschehene schon vergangen ist (so ist es doch richtig, oder?). Dann müsste man den Merksatz umschreiben.


    Danke für den Einwand und liebe Grüße
    Biene Maja


    Ich habe mich extra um das "falsch" gedrückt. Falsch ist es im Dialekt nicht, aber in der Hochsprache. Mir fehlen natürlich Kenntnisse in der Primarstufendidaktik, aber den Kindern diesen Unterscheid beizubringen, das sollte doch möglich sein?

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  • Ah, alles klar - ich habe "Aufsatz" als "Textsorte Essay" verstanden, nicht als "Schülerproduktion". Wenn man das so nimmt, dann ist das natürlich richtig.


    Nele

  • Zitat

    Timm schrieb am 23.04.2006 13:15:Ich habe mich extra um das "falsch" gedrückt. Falsch ist es im Dialekt nicht, aber in der Hochsprache. Mir fehlen natürlich Kenntnisse in der Primarstufendidaktik, aber den Kindern diesen Untersc heid beizubringen, das sollte doch möglich sein?


    Mhm, ist dieses Phänomen denn dialektal? Als gebürtiger Wittmunder bin ich ja nun alles andere als ein Süddeutscher, aber ich könnte mich nicht entsinnen, wann ich in gesprochener Sprache etwas anderes als das Perfekt verwendet hätte - außer in formellen Sprechsituationen. Auch in Hessen und in NRW habe ich das nicht anders gehört. Vielleicht war das früher einmal eine dialektale Besonderheit des Süddeutschen - heute scheint mir das doch eher eine Registerfrage zu sein.




    Nele


  • Der Grammatikduden (6. Auflage 1998, Seite 152, Fußnote 1) behauptet, dass das Perfekt im obderdeutschen Sprachraum zunehmend Präteritum und Plusquamperfekt verdränge. Das sind eigentlich die süddeutschen Mundarten:
    [IMG]http://upload.wikimedia.org/wi…hes_Sprachgebiet-1937.PNG]


    Mir persönlich ist auch aufgefallen, dass - zumindest bei gebildeten Sprechern - das Präteritum bei den eher nördlichen Dialekten benutzt wird. Im Schwäbischen Dialekt ist das Perfekt als Präteritumsersatz aber absoluter Standard auch im sogenannten "Honoratiorenschwäbisch".

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  • also, ich komme aus Niedersachsen und weder dort noch hier in SH benutzt irgendjemand das Präteritum in der Umgangsspreche ;)

  • Danke für euren zahlreichen und informativen Antworten!
    So wurde mir das alles doch noch ein wenig klarer.
    Aber jetzt gehe ich ins Bett, habe nämlich den ganzen Tag geackert und irgendwann ist auch mal gut!
    So, euch wünsche ich einen schönen Wochenstart, Gruß, die Schnita

  • Zitat

    tiffy schrieb am 23.04.2006 21:00:
    also, ich komme aus Niedersachsen und weder dort noch hier in SH benutzt irgendjemand das Präteritum in der Umgangsspreche ;)


    Die Untersuchung, auf die man sich in der Fußnote beruft, stammt in meiner Erinnerung (hab den Grammatikduden gerade nicht griffbereit) aus den frühen 70igern. Kann natürlich sein, dass diese Entwicklung die oberdeutsche Sprachgrenze übersprungen hat. Die Leute, die ich kenne, sind alle älter und ich würde sie so im Raum Kassel ansiedeln. Mir ist auch schon ausfgefallen, dass Norddeutsche Perfekt statt des Präteritums benutzen.


    Ich denke, es reicht ja erstmal, den Unterschied Umgangssprache/Hochsprache bei der Verwendung des Perfekts zu berücksichtigen.

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  • Zitat

    Timm schrieb am 24.04.2006 10:10:


    Die Untersuchung, auf die man sich in der Fußnote beruft, stammt in meiner Erinnerung (hab den Grammatikduden gerade nicht griffbereit) aus den frühen 70igern. Kann natürlich sein, dass diese Entwicklung die oberdeutsche Sprachgrenze übersprungen hat. Die Leute, die ich kenne, sind alle älter und ich würde sie so im Raum Kassel ansiedeln. Mir ist auch schon ausfgefallen, dass Norddeutsche den Perfekt statt des Präteritums benutzen.


    Ja, wir benutzen das Preäteritum, sogar im Alltag. :P


    Habe zwar noch nicht so genau darauf geachtet, ob soch da in den letzten Jahren etwas verändert hat, aber aufgewachsen bin ich schon damit, dass das eine ganz normale, auch alltagssprachlich gebräuchliche Form ist.


    Und wenn ich es richtig im Ohr habe, gibts diese Form hier auch im Dialekt häufig, aber da bin ich nur Hörversteher, nicht Sprecher, deshalb ohne Beweise. ;)



    carla

    Nehmen Sie die Menschen so wie sie sind.
    Es gibt keine anderen

    Einmal editiert, zuletzt von carla ()

  • Zitat

    Timm schrieb am 24.04.2006 10:10:
    Die Untersuchung, auf die man sich in der Fußnote beruft, stammt in meiner Erinnerung (hab den Grammatikduden gerade nicht griffbereit) aus den frühen 70igern.


    Gerade nochmal geschaut: 1957! Hab die etzte Zahl wohl in der Erinnerung gedreht...

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