Darf ich Schüler vor die "Wahl" stellen, ob sie etwas lernen wollen?

  • Hallo,


    mich beschäftigt seit ein paar Tagen eine Frage, die ich mal loswerden möchte: in einer meiner Klasse (erste!) sind einige Schüler, die permanent den Unterricht stören (reden miteinander, lachen laut, ärgern / schubsen / kneifen ihre Mitschüler, ...). Sie sind weder durch Ermahnungen, noch durch positive Verstärkung, noch durch abwechslungsreichen Unterricht, noch durch Blicke, ..... dahin zu bringen, sich in angemessener Form am Unterricht zu beteiligen. Diese drei Schüler stören natürlich nicht nur mich, sondern auch die ganze restliche KLasse, und das Klima im Unterricht ist deshalb auch nicht immer das beste.


    Da nun wirklich alle Versuche fehlgeschlagen sind, muss ich mir etwas Neues überlegen. Darf ich die Schüler vor die Entscheidung stellen, ob sie
    1. sich benehmen und am Unterricht (z.B. im Sitzkreis) teilnehmen wollen oder
    2. ob sie das nicht wollen und sich deshalb nicht zu beteiligen brauchen und stattdessen ruhig auf ihren Stuhl setzen und abwarten sollen???


    Ich finde es ja gut, die Schüler selbstständig entscheiden zu lassen, ob sie die Möglichkeit zum Lernen annehmen wollen - aber sie sind ja wie gesagt erst sechs bis sieben Jahre alt und können die Konsequenzen noch gar nicht abschätzen, wenn sie nicht am Unterricht teilnehmen! Und: Darf ich den Schülern überhaupt den Vorschlag machen, sich sozusagen auszuklinken, wenn sie nicht bereit sind, sich den Regeln anzupassen? Ich habe ja die Hoffnung, dass sie schnell merken, wie doof es ist, alleine am Platz zu sitzen und nicht beachtet zu werden, wenn alle anderen etwas Schönes im Sitzkreis machen. Vielleicht bessert sich dann ihr Verhalten?! Habt ihr noch bessere Ideen?


    Nur noch so als kurze Anmerkung: ich bin noch Anwärterin und hoffe, dass mir eine solche Frage gestattet ist, ohne dass sich darüber gleich jemand ärgert oder angegriffen fühlt... Das ist nicht meine Absicht und ich frage ja auch deshalb nach, weil ich mit meinem Latein am Ende bin und mich rückversichern will, was eigentlich erlaubt ist.


    nani

  • Vor die Wahl kannst du sie gerne stellen, ABER falls sie die falsche Entscheidung treffen, musst du was neues ausprobieren. Auf Dauer ist es kein tolerabler Zustand.


    UND: Was machst du, wenn auch andere dieses coole Recht in Anspruch nehmen wollen?


    Gruß,
    Remus

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

  • Als ich 10 war, hatte ich auch einen Lehrer, der das so hielt. Wer keine Lust habe auf seinen Unterricht, solle sich doch nach hinten setzen und sich anderweitig beschäftigen. Ruhig natürlich.


    Ich hielt das für eine gute Idee. Der Unterricht war sterbenslangweilig. Keiner der anderen Lehrer machte so coole Vorschläge. Etwa die Hälfte der Klasse spielte schließlich ein Endlos-Turnier Schiffe versenken.


    Gegen Ende des Halbjahres verkündete er dann, dass er ja Noten geben müsse und deshalb nun eine Arbeit schreiben wolle. Kein Problem, wir hatten nichts dagegen. Die besten Arbeiten wurden von den Schiffe-Versenkern geschrieben. Kurze Zeit drauf quittierte er den Schuldienst.


    Warum auch immer.


    Grüße Enja

    • Offizieller Beitrag

    Ich habe wenig Erfahrung mit Grundschülern, bin aber grundsätzlich der Meinung dass es natürlich erlaubt und auch sinnvoll ist, Kindern etwas zur Wahl zu stellen. Lernen tun sie doch auf jeden Fall etwas daraus, nämlich hoffentlich, dass es doch etwas für sich hat, wenn man nach den Regeln spielt. Das sich-Ausprobieren hat oft einen höheren Einsichtsfaktor, als wenn sie nur nach Geboten / Verboten handeln.
    Für wichtig halte ich bei solchen Verfahren nur, dass die Kinder immer wieder zum Reflektieren angehalten werden, sprich, dass du nach eine Weile mit ihnen darüber kommunizierst, wie sie das (hier: die Ausklinkphase) nun fanden, ob es ihnen was gebracht hat, ob es besser war, warum, warum nicht, was sie sich wünschen, wie es weitergehen soll, was sie bereit sind, dazu beizutragen, was sie von dir / den anderen Kindern erwarten. Denn es ist ja gerade der (gemeinsame) Nachdenkprozess, der Effekte erzielt.
    Ob das allerdings bei Grundschülern genau so machbar ist, weiß ich mangels Erfahrung auch nicht .... da gibt es hier sicher kompetentere.
    Ich würde sagen: probier's aus, dann weißt du's.

    WE are the music-makers, and we are the dreamers of dreams,
    World-losers and world-forsakers on whom the pale moon gleams
    yet we are the movers and shakers of the world for ever, it seems.

  • Ich hatte etliche dieser Früchtchen... 5 von 22. Das war ganz schön nervig und da war dann auch nichts von wegen wollen oder nicht-wollen.
    Ich habe es so gehandhabt, dass es 3 Ermahnungen gab/gibt. Bei der 3 fliegt Kind vor die Tür. Ich notiere die Zeit, die das Kind draußen ist und in Absprache mit den Eltern wurde diese Zeit dann am Ende der Woche nachgearbeitet...
    Das Problem mit dem Stören hatte sich dann ganz schnell gelegt.
    Ich finde es ja wichtig, mit Kindern zu diskutieren und sie ernst zu nehmen, aber ehrlich gesagt finde ich auch, dass es einen Unterschied gibt zwischen Kindern und Erwachsenen und gerade in der Schule haben Kinder auch schlicht und ergreifend mal das zu tun, was ich sage. Ohne langes rumdiskutieren.

  • Hallo Nani,


    sinnvoll ist das Ausklinken nur dann, wenn du etwas machst, was eigentlich Spaß macht. Sitzkreis gehört da meistens dazu, denn dann ist man ja wirklich ausgegrenzt. Da merkt das Kind dann auch spätestens beim 2. Mal, dass das nicht so toll ist.
    Andernfalls (alle rechnen stupide/schwierige Aufgaben, nur XY darf dasitzen und nichtstun) endet es womöglich so wie Enja schreibt.


    Liebe Grüße und viel Glück
    Biene Maja

  • Hallo Iny,


    wie regelst du das mit der Aufsicht, wenn die Kinder draußen stehen? Ich frage das, weil bei uns in der Grundschule vor die Tür gestellte Schüler gerne mal auf den nahegelegenen Spielplatz gingen oder sonst etwas anstellten.


    Grüße Enja

  • Da es sich vornehmlich um drei Schüler handelt, folgenden Vorschlag:
    - weise diesen drei Schülern voneinander getrennte Plätze im VORDEREN Bereich der Klasse zu, möglichst in der ersten Reihe. Falls möglich, setze sie an Einzeltische.
    - Nimm Kontakt mit den Eltern auf und teile diesen mit, dass der Lernerfolg ihrer Sprösslinge (sowie der anderen Schüler) in Frage gestellt ist.

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Ich stelle Kinder nur dann vor eine Wahl, wenn sie ihre Wahl auch wirklich frei entscheiden dürfen, und zwar ohne dass ein Pferdefuß dabei ist. Darum würde ich sie vor diese Wahl auf keinen Fall stellen. Sie könnten zwischen zwei verschiedenen Arbeitsblättern wählen oder sich entscheiden, welches von den beiden sie in der Schule und welches zu Hause bearbeiten wollen oder etwas in der Art.


    Grundsätzlich empfehle ich dir die Lektüre des Buches "Die Logik des Gelingens" von Walter Spiess !! ich würde dann auf dieser Basis ein Beratungsgespräch mit den lernunwilligen Kindern führen.


    Bablin


    edit Meike: Umlaute statt komischer Zeichen

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

    Einmal editiert, zuletzt von Meike. ()

  • die Schilderung deiner Schüler kommt mir doch recht bekannt vor ...


    Wenn sich bei mir einer der Schüler daneben benimmt (zwei Ermahnungen gibts "kostenlos"), "biete" ich ihm an: "Gehe bitte nach hinten. Wenn du wieder bereit bist, am Unterricht teilzunehmen, kannst du wieder nach vorne kommen." Dann sitzen die Schüler halt zwischen ein paar Sekunden und einigen Minuten hinten im Klassenzimmer auf einem "Strafstuhl" und kommen dann selbstständig wieder nach vorne. Wirkt vor allem schnell, wenn wir etwas schönes machen oder auch wenn es z.B. um Abschreiben oder Rechnen geht, weil sonst klar ist, dass man in der Pause die fehlenden Teile nacharbeiten muss (geht aber wahrscheinlich auch nur deshalb so gut, weil wir 30 Minuten Pause haben).


    Ob das rechtlich so ok ist, habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, denke aber nicht, weil die Schüler ja trotzdem dem Unterricht folgen können.


    Zu sagen ist vielleicht auch noch, dass es mittlerweile bei den meisten Kindern ganz gut funktioniert (v.a. wenn sie so überdreht sind und deshalb Blödsinn machen, bekommt ihnen diese "Auszeit" ganz gut). Daneben gibt es aber einen Schüler, der es in manchen (gerade "freieren" Stunden) schafft, zweimal im Klassenzimmer hinten zu sitzen.

  • hallo nani
    das von dir beschriebene problem gibt es unendlich oft.
    in deutschland kannst du nun kinder nicht fragen, ob sie der schule fernbleiben möchten. sie MÜSSEN ja kommen.
    andererseits stören sie dich bzw. deine art, kinder zum lernen zu veranlassen.
    sie zeigen, dass es für sie schwierig oder kaum möglich ist, mit anderen gleichzeitig das gleiche zu lernen.
    den knoten kannst du auflösen, indem du mit dem lernen anders umgehst, ihnen material zum arbeiten und informationen zu wissensbereichen einfach zur verfügung stellst und sie selbstständig und miteinander lernen und arbeiten lässt. wenn sie erleben, dass du das wirklich zulässt und frei gibst, gehen sie an die arbeit. und dann kannst du ihnen sagen was sie geschafft haben und dich mit ihnen drüber freuen.
    ermahnen, appellieren, drohen, bestrafen, aussondern nützt überhaupt nichts.

  • Hallo nani!
    Du schriebst: "...Ich habe ja die Hoffnung, dass sie schnell merken, wie doof es ist, alleine am Platz zu sitzen und nicht beachtet zu werden, wenn alle anderen etwas Schönes im Sitzkreis machen..."


    So einfach, wie es klingt, ist es auch: Mach doch ständig etwas Schönes!


    Das muss nicht heißen, dass Du ständig etwas machst, was den Kindern keinen Wissenszuwachs bringt!!
    Du kannst aber ALLES in etwas Schönes verwandeln, zB. könntest Du in Mathematik sagen: "Und jetzt zeige ich euch einen Trick, wie die Großen das rechnen. Ihr werdet staunen!"


    Welches Kind möchte nicht bald "groß" sein?!?


    Wie Du auf solche Art Ideen kommst? Auch dazu ist die Unterrichtsvorbereitung da, nämlich sich andere, motivierendere Formulierungen zu überlegen. Mach es also ständig "spannend" und lass Dir dazu viel einfallen!

    • Offizieller Beitrag

    Hallo nani,


    ich finde es sehr sehr schwer, dir aus deinem Posting folgend einen Rat zu geben. Ich kenne weder dich, noch deine Klasse, noch die besagten Kinder, noch die Umstände, unter denen du unterrichtest. Ich hatte im 1. Halbjahr ähnliche Probleme in meiner eigenen Klasse (ebenfalls 1. Klasse, ich hatte 11 Kinder, die aus dem Kindergarten kein Zuhören kannten, sondern sich fröhlich miteinander unterhalten haben und es mehr oder weniger irrelevant fanden, was ich tat und auch z.B. im Morgenkreis einem anderen Kind nicht zuhören konnten). Ich habe verschiedene Strategien probiert, war oft total fertig und muss aber jetzt seit Januar und besonders seit dem Beginn des 2. Halbjahres feststellen, dass die Klasse sich nun wesentlich besser an Regeln hält. Die unruhigen Kinder haben mal bessere, mal schlechtere Tage, aber ich kann jetzt gelassener sein.


    Ich würde nie einen meiner Erstklässler vor die Wahl stellen: Entweder mitmachen oder "ruhig dasitzen". Letzteres würden meine "Spezialisten" nämlich nicht tun (auch nicht mit anderer Aufgabe), sondern mit aller Macht versuchen, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: Aufstehen und durch die Klasse laufen, singen, summen, miauen, bellen, vom Stuhl fallen, reden, rufen, einzelne Kinder ansprechen (die dann reagieren), laut weinen, Stifte vom Tisch schmeißen, gegen ihren Ranzen treten, rülpsen, Yo-Gi-Oh-Karten herausholen und laut von ihren stärksten Karten schwärmen, ... Deine Schüler sind da vermutlich kreativer als du.


    Mit dem Raussetzen ist das so eine Sache. Ich habe das auch gemacht, aber weit weniger regelhaft als hier beschrieben, sondern immer nur im Notfall, nämlich dann, wenn ich dachte "Gleich explodier ich." gabs eine Warnung an das Kind und dann den Rauswurf. Das Kind saß bei geöffneter Klassenzimmertür auf einem Stuhl mit dem Rücken zur Klasse. Auf Versuche, mit der Klasse Kontakt aufzunehmen, habe ich reagiert, indem ich die Kinder lobte, die sich darauf nicht einließen.
    Gesprächskreise habe ich nach der 3. Ermahnung abgebrochen (am Anfang konnten nur 3 bis 5 Kinder vom Wochenende erzählen).
    Mehrere Sitzplanänderungen kamen hinzu (übrigens nach einer Woche auf Frontal-Sitzordnung in 3 Reihen umgestellt).


    Im Spätherbst habe ich es 4 Wochen durchgehalten bei wichtigen Dingen (Erklärungen, Schülerantworten, Morgenkreis) immer zu warten bis alle Kinder leise waren (und bei Erklärungen nach vorn schauten und die Arme auf dem Tisch hatten). Bei Störung hörte ich sofort (mitten im Satz) auf zu reden oder unterbrach das Kind, das gerade sprach. ("..., du musst bitte warten, es können dir gerade nicht alle Kinder zuhören.") Ich bin in der Zeit vermutlich um 5 Jahre gealtert, aber das hat es dann auch gebracht (und beim nächsten Mal fange ich gleich so an). Nach einer gewissen Zeit habe ich alle Sachen in die Mappe packen lassen, wenn die Klasse nicht ruhig war bis dahin. Bei einigen Kindern half das, weil sie immer durch Federtaschen oder Stifte abgelenkt waren und allen machte es klar, das gerade was gewaltig nicht stimmt. Dann führte ich Gespräche mit den Kindern über Lernen und den Sinn von Schule, warum alle gleichzeitig leise sein sollen, warum ich etwas erklären möchte, warum sie ihren Mitschülern zuhören sollen etc. An schlechten Tagen 2 oder 3mal täglich. Die ersten beiden Wochen waren schrecklich, ich dachte, das hilft alles nichts. (Ich hatte dieses Herangehen als Tipp bekommen und war dem sehr skeptisch gegenüber aber ziemlich verzweifelt.) Danach wurde es schrittweise besser, weil das Gros der Klasse den Störern klar machte, dass sie lernen wollen und die Störungen ebenfalls (wie ich) nicht gut finden. Hinzu kamen Elterngespräche und Verstärkerpläne bei einzelnen Kindern.


    Wie geht denn die Klassenlehrerin mit den Kindern um? Grad als Anwärterin ist das alles ja viel komplizierter, du musst deinen Stoff schaffen und didaktisch tolle Stunden bieten etc....


    Viele Grüße,
    Conni

Werbung