ZitatRemus Lupin schrieb am 20.03.2006 22:08:
Nele: Ich bin mir sicher, du weist, welche Sorte Quellen ich meine...
Naja, aber du hast ja ganz pauschal "Quellen" gesagt
Aber mal ernsthaft - Quellen sind das, was die Vergangenheit lebendig macht. Aber das "Lebendigmachen" ist vielleicht das Problem - wenn "Geschichte" nur noch der Versuch ist, Vergangenheit irgendwie in die Form synthetisierter Strukturen, aka. "Verfassungsdiagramme", "Bündnissysteme", chronologische Zahlenlsiten etc. zu bringen, dann wird da meiner Meinung nach nicht allzuviel vom Leben und Wirken vergangener Menschen übrigbleiben... Und Flussdiagramme und Zahlenlisten finde ich auch eher langweilig. Telefonbücher auswendig zu lernen ist ja auch ein Hobby für Sonderlinge...
Ich finde das schon bezeichnend, dass hier mehrfach gesagt worden ist, dass Geschichte in der 5. und 6. Klasse, als es noch um das Leben der Menschen ging, spannend war, dann aber das große Gähnen der Strukturen kam... Mein Geschichtsverständnis wurde nachhaltig von meinem alten Geschichtsprofessor Thomas Klein aus Marburg geprägt, der in seinen Vorlesungen immer wieder auf das "Meine Damen und Herren, stellen Sie sich das doch einmal vor!" zurückgekommen ist - wie sah denn so eine Ständeversammlung tatsächlich aus, wenn der Fürst den Saal betrat und die Stände sich erhoben? "Meine Herren - bedecken Sie sich..." Vorstellung und Anschauung sind für mich extrem wichtig, deswegen verwende ich in meinem Unterricht sehr viele Bildquellen aber auch Quellen, die das Leben der Zeit unmittelbar zeigen.
Was für ein Bildungsziel kann man eigentlich mit der Lektüre z.B. der Emser Depesche erreichen? Welches Bildungsziel erreiche ich denn, wenn ich auswendiggelernte Erklärungen wiedergebe, wer die Girondisten und wer die Jakobiner waren oder gar der Areopag? Wen juckt eigentlich die klassische athener Staatsverfassung? Also mich nicht so sonderlich - und das, wo ich Geschichte von berufs wegen spannend finde.
Row-k hat schon recht, "Geschichte" hat viel mit "Geschichten" zu tun und als Geschichtslehrer muss man ein guter Erzähler sein und viele Geschichten kennen. Geschichte als "master discourse" wie auch als "dissident discourse" ist die perpetuierte Neuerzählung der eigenen Herkunft durch den Menschen. Aber im Unterricht muss auch der Schritt von den Geschichten zur Geschichte gemacht werden, also von dem bloßen Staunen über das vergangene Fremde hin zum Verständnis - aber das ist eben die Schwierigkeit...
Nele