Ein interessanter Beitragl kam heute in Kulturzeit auf 3SAT:
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Für viele ist der Weg in die Hauptschule eine Sackgasse. So lautet zumindest eine weit verbreitete Meinung. Wer hier die Schulbank drückt, heißt es, ist auf dem besten Weg, ein Sozialfall zu werden. Was ist aus dieser Schulform geworden, die einst gedacht war, Schüler mit Talent fürs Praktische auf die Ausbildung vorzubereiten?
Martin Braun, Lehrer an der Schwanthalerschule in Frankfurt fühlt sich allein gelassen: "Es entsteht für mich der Eindruck, dass es sich für den Staat nicht mehr lohnt, sich um die Hauptschule zu kümmern", sagt er. Seine Kollegin Gisela Rieger pflichtet ihm bei: "Was soll ich da sagen? Die Hauptschule ist für viele das Ende." Das schlechte Image ist häufig unberechtigt. Die meisten Hauptschulen bieten Computerkurse, Bewerbungstraining und Förderprogramme für Leistungsschwache an. An der Schwanthalerschule in Frankfurt sind zudem vier Sozialarbeiter ständig präsent und schlichten Streit zwischen Schülern.
Die Lehrer können nichts dagegen machen
Hockeyspiel im Unterricht: Jeder macht, was er will.
Um schwierige Fälle kümmert sich ein Jugendpsychologe. Denn Gewalt breitet sich in neuen Spielarten aus, doch immer seltener bleibt es bei einem virtuellen Gefecht: Fäuste, Schlagringe, Gürtel, zählt eine Schülerin die unterschiedlichen Arten von Schlägereinen an ihrer Schule auf. Und die Lehrer? Dagegen sei nichts zu machen: "Wenn die dazwischen gehen, die kriegen auch auf’s Maul", so einer der Schüler.
Es bleibt nicht bei Schlägereien: "Kiffen, Rauchen. Manche, wie ich gehört habe, dealen auch“, behauptet einer und ein anderer erzählt: "Ich war vorher auf der Realschule und bin auf die Hauptschule gekommen - ist schlimm. Man kann hier keinen Unterricht machen. Weil die Schüler zu laut sind, und die Lehrer das nicht im Griff haben." Das gilt zum Beispiel auch für den Kunstunterricht in der siebten Klasse. Gisela Rieger kann schon lange keinen Unterricht mehr halten. Gefordert sind vielmehr ihre sozialpädagogischen Fähigkeiten. Und immer wieder stößt sie dabei an ihre Grenzen. Sie ist an diesem Tag die dritte, die den Schulleiter zu Hilfe holt. Hier macht jeder, was er oder sie will
"Lernen mit Kopf, Herz und Hand"
Klaus-Jürgen Harrass, Stellvertrender Schulleiter
Ein anderer Ort, eine andere Schule: Die Hauptschule Löhne-West in Ostwestfalen. hier wird ein Hühnerstall von Schülern betreut, der Schulhof selbst gestaltet und im Schulgarten wächst selbstgepflanztes Gemüse. Ein engagierter Schulleiter und einige Lehrer haben die Schule zu einem Vorzeigeobjekt gemacht: sie wurde von der Hertie-Stiftung und der Robert-Bosch-Stiftung als drittbeste Hauptschule Deutschlands ausgezeichnet. "Mir war das irgendwo schon immer klar, dass Lernprozesse erst dann nachhaltig in Gang kommen, wenn jemand selbst ein Stückchen innerlich auch beteiligt ist", erklärte der stellvertretende Schulleiter Klaus-Jürgen Harrass. "Lernen mit Kopf, Herz und Hand" lautet das Schulmotto. Ein ganzheitlicher Ansatz mit sozialen Schwerpunkten, Pausenhofsäubern inklusive.
Für die Zukunft der Schüler kämpfen
Gerhard Krahe, Schuldirektor
Lokale Firmen bieten Praktika an und betreuen Bewerbungsmappen. Und es lohnt sich: Über die Hälfte der Schulabgänger bekommt einen Ausbildungsplatz. Ein Berufsberater kommt in die Klassen. Jeder Einzelne wird nach seinen Stärken befragt. Das ist Hilfestellung für Schüler, die im täglichen Leben mit dem Imageproblem der Hauptschule zu kämpfen haben. Eine Schülerin berichtet von ihren Schwierigkeiten bei der Such nach einem Praktikumsplatz: "Wenn man sagt: Nehmen Sie auch Praktikanten an? Sagen sie: Welche Schule? Wenn man sagt: Hauptschule, sagen sie: Tut mir leid, keine Hauptschülerin."
Den Direktor der Schule, Gerhard Krahe, ärgert so etwas: "Es kann nicht sein, dass die jungen Menschen die Schule verlassen und sofort in die Hoffnungslosigkeit geschickt werden." Er will das nicht einfach so hinnehmen, sondern darum kämpfen, dass die Schüler eine Zukunft haben. Ein Energiesparwettbewerb motiviert die Schüler, Müll zu trennen, zu lüften, in den Pausen die Lichter auszumachen. Die Schule produziert selbst Strom mit Solarzellen und speist diesen ins Netz ein. Dafür wurde sie als "Umweltschule Europas" ausgezeichnet. Kleinere Streitigkeiten gibt es natürlich auch an dieser Schule, bestätigt ein Schüler. Aber so schlimm, das man sich schlage, seien diese nicht.
Die Hauptschule ist in Gefahr
Schulleiter Reinhold Dallendörfer im Gespräch mit einem Schüler
Ganz anders sehen dagegen die Zukunftsaussichten der Schüler der Schwanthalerschule aus: Maximal zehn Prozent der hiesigen Schüler werden einen Ausbildungsplatz bekommen. Ein großer Teil wird nicht einmal den Qualifizierten Hauptschulabschluss schaffen. Der Weg ins soziale Abseits beginnt schon hier. Konzentrationsdefizite bei den Schülern, Überforderung bei den Lehrern. "Wäre ich Straßenkehrer, könnte ich mich nicht über den Dreck beschweren", so Lehrer Martin Braun, "Bin ich Hauptschullehrer, kann ich mich nicht beklagen, daß Schüler laut sind."
Schulleiter Reinhold Dallendörfer sieht zwei Möglichkeiten für die Zukunft. Entweder, sagt er, bekomme man die Unterstützung um die vorhanden Probleme zu lösen, das heißt speziell geschultes Personal für den Umgang mit problematischen Kindern, oder, diese Schüler müssten eine neue Schule bekommen. An seiner Schule, so Dallendörfer hätten die auffälligen Schüler eigentlich kaum eine Chance. Die Hauptschule ist in Gefahr. Wird sie nicht bald den aktuellen Problemen angepasst, droht das Ende einer Schulform, die junge, praktisch begabte Menschen auf das Berufsleben vorbereiten soll.
http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/89391/index.html
Wie sieht es bei euch an den Hauptschulen aus und teilt ihr Meinungen wie Hauptschule=Sackgasse oder als Hauptschullehrer könne man sich nicht über laute Schüler beklagen?