Hallo...
ich habe heute etwas Unglaubliches in der Schule indirekt miterlebt. Seit Nov. 04 bin ich Referendarin an einer Grundschule, die in einem soz. Brennpunkt liegt. Mittlerweile habe ich mich damit abgefunden, dass das Ref. hier nur unter erschwerten Bedingungen durchzuführen ist. In genau fünf Wochen werde ich Prüfung haben und hoffe, dass meine Klassen sich versuchen, von ihrer Schokoladenseite (sofern sie eine haben) zu zeigen. Im letzten UB taten sie dies nicht...
Heute habe ich miterlebt, wie mein Kollege kreidebleich ins Lehrerzimmer kam: Eine Mutter war in seinen Unterricht gestürmt und ist verbal und körperlich brutal auf ihn losgegangen. Ein Schüler wurde von ihm losgeschickt, um die Schulleiterin zu holen. Nach einem eingehenden Gespräch wurde die Mutter in die Psychiartrie zwangseingewiesen. Heute Nachmittag habe ich mich zwecks Besprechung meiner Prüfungsstunde mit meinem Kollegen getroffen - noch immer war er total fertig und schockiert. Die gesamte Klasse hat dieses Drama miterlebt, einige Mädchen haben vor Angst und Panik geweint, mehrere Schüler äußerten anschließend, dass sie Angst gehabt hätten, dass die Mutter ein Messer zückt und den Lehrer niedersticht. In diesem Zusammenhang habe ich erfahren, dass eine andere Mutter aus der Klasse ihren Lebensgefährten lebensgefährlich mit einem Messer verletzt hat, weil er sie geschlagen hat. Anschließend ist sie durch ein Fenster geflohen, um dem Mann zu entkommen. Das Kind hat alles miterlebt.
Ich musste das einfach mal loswerden, denn das ganze belastet mich sehr. Ich weiß teilweise nicht, wie ich das alles nervlich (bis zur Prüfung) aushalten soll... Habt ihr einen Trost für mich?
Gruß von
Catha
Mutter geht auf Kollegen los... oh je...
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Oh Mann, Catha... das ist wirklich hart. Schwer, was dazu zu sagen, es bleibt nun mal nicht in den Kleidern hängen. Vielleicht lohnt es sich, mit Kollegen eine Supervisionsgruppe zu gründen - man lässt sich 2-3 mal anleiten und macht dann allein weiter, das ist relativ preiswert. Zu deinen Prüfungssorgen - die meisten Fachleiter sind in der Lage, das soziale Umfeld einer Schule mit einzubeziehen. Sie wissen, dass man in schwierigen Klassen keine perfekten Stunden machen kann, und wollen eher sehen, wie du denn mit solchen Problemen umgehst. Schreib eine ausführliche Sozialanalyse in deine Entwürfe und reagiere in Krisensituationen sinnvoll, das wird mindestens so hoch angerechnet wie eine "Sternstunde". (Nichts von deinem Kaliber, aber nach einer heftigen Auseinandersetzung mit einem Schüler in der LP murmelte einer meiner Fachleiter mal ganz angetan "Endlich mal das wahre Leben...")
Halt durch,
w. -
Das hoffe ich sehr, dass die Prüfungskommission das soziale Umfeld der Schule berücksichtigt. Allerdings wurde von Seiten der Seminarleiter der Hinweis geäußert, dass ich die Sozialanalyse knapp halten soll, weil die Prüfer diese sowieso nicht lesen würden. Hmpf. Ich werde sie trotzdem realistisch und entsprechend ausführlich schreiben, sie wegzulassen kann nicht die Alternative sein...
In einer Prüfungsstunde werden die Schüler in Gruppen arbeiten. Was habe ich wohl innerhalb der Prüfungsstunde für Möglichkeiten, auf aggressive und massiv störende Schüler zu reagieren? -
Hallo Catharina,
kann Dir leider auch nicht wirklich helfen und wollte Dir nur Mut zusprechen. Zum einen, weil die Sache die Dir (bzw. Deinem Kollegen) mit der Mutter passiert ist echt heftig ist.
Da ich an einem Gymnasium bin habe ich sicherlich nicht die "Brennpunktprobleme" die Du hast, aber unser Klientel ist schon nicht das typische Bildungsbürgertum. Ein ehemaliger Referendar an meiner Schule meinte "besser an einer schwierigen Schule Ref machen und dann auf schwierige Klassen vorbereitet sein, als 8 Stunden auf nem Dorf und dann an eine Brennpunktschule..."
Von daher wünsch ich Dir ganz viel Erfolg, bald ist es vorbei und wenn Du Glück hast, kommst Du an eine Schule die Dir gefällt und wo das Unterrichten Dir Spaß macht (kann ja auch an einem Brennpunkt sein...) -
Zitat
Arthur Weasley schrieb am 14.02.2006 16:04:
Ein ehemaliger Referendar an meiner Schule meinte "besser an einer schwierigen Schule Ref machen und dann auf schwierige Klassen vorbereitet sein, als 8 Stunden auf nem Dorf und dann an eine Brennpunktschule..."Diesen Referendar hätte ich gern ans Händchen genommen und durch die ländlichen Dorfschulen meines Studienseminars Goslar geführt. Da hätte er ganz schnell gesehen, dass das Klischee von den lieben braven Dorfkindern, die ihrem Lehrer im Sommer Blumen bringen, im Winter selbstgebackenen Kuchen mit vielen Grüssen von Mutti, und dabei einen artigen Knicks vollführen, längst in die Mottenkiste gehört.
Auch in Dörfern gibt's Migranten und Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, Teilleistungsstörungen beschränken sich nicht auf den Sozialraum (Gross-)Stadt und Arbeitslosigkeit und soziale Probleme sind teilweise gerade im ländlichen Bereich weit verbreitet.
Nur mal so aus der alten Dorfschule geplaudert...
Catharina, wie arbeitet ihr den Vorfall denn innerschulisch, v.a. mit den Kindern, auf? EDIT: ich denke, dass gerade auch von einer Bearbeitung des Themas die Einstellung und das Verhalten der Schüler zur und in der Schule (und damit auch in deiner Prüfungssituation) abhängen.
LG, das_kaddl.
PS:
ZitatAllerdings wurde von Seiten der Seminarleiter der Hinweis geäußert, dass ich die Sozialanalyse knapp halten soll, weil die Prüfer diese sowieso nicht lesen würden.
Was ist das denn für eine Aussage - bis auf den Schulaufsichtsmenschen und den Rektor deiner Schule sind genau deine Seminarleiter die Prüfungskommission, dh, sie stellen mehr als 50% der Kommission . -
Dass das Bild der heilen Dorfschule verzerrt ist, ist mir schon klar. Es ging aber in seinem Fall um ein Gymnasium. Da arbeitet man auch in einer Großstadt und mit untypischem Schülerklientel noch in relativ "idyllischen" Zuständen. Das ist nach meiner Erfahrung in einem Kleinstadtgymnasium noch ausgeprägter.
Dass auch die dortigen "Bürgersöhnchen" und "-töchterchen" sicherlich auch so ihre "Macken" haben, wenn auch andere werde ich ab übernächster Woche erleben.Naja, auf jeden Fall wünsche ich Catharina (und mir) für die Zukunft, dass sie viel Freude an ihrem zunkünftigen Arbeitsplatz hat...
Tschüss, Arthur
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hallo catharina,
ich bin auch der meinung, dass ihr euch als kolegium eine anleitung zur supervision "holen" solltet. dieses verfahren wird in so vielen anderen sozialen berufen recht erfolgreich eingesetzt, leider selten in schule...
zu deiner prüfung: in welchem fach, in welcher klasse und zu welchem thema planst du welche art von gruppenarbeit?
da gäbe es einige varianten, im vorfeld einige unruhequellen zu minimieren.
wenn du magst, schreib nochmal, vielleicht habe ich ein paar tipps...viele liebe grüße,
phoenixenull -
Liebe Catha!
Ich kann das nachfühlen, ich habe ähnliches im Ref erlebt. Zwar nicht mit Psychiatrie, aber mit starker Bedrohung gegen mich (und andere) durch einen türkischen Vater.
Ich denke, dass du für die Unterrichtswirklichkeit viel besser ausgebildet bist, als deine Ref-kolleginnen, die an Vorzeigeschulen unterrichten. Es ist wahrscheinlich leichter, Brennpunkt gewöhnt zu sein, als den umgekehrten Weg zu gehen.
Leider hilft dir das für deine Prüfung herzlich wenig, denn eingestellt wird leider nur nach Noten. Wir bekamen damals keinen extra-Bonus (obwohl durch einige Fachleiter gesagt wurde, dass sie die Umstände kennen würden). Gerade Stunden in Mathe, in denen man "Problemstellung", Problemerarbeitung, Reflexion zeigen sollte, waren schwer zu halten, da die Kinder eben nicht so gute Leistungen zeigen konnten wie die an anderen Schulen. Ich habe damals immer gesagt, ich wolle Unterrichtswirklichkeit zeigen und würde alle Kinder in die Prüfungsstunde mitnehmen - entgegen dem Rat mehrerer Kollegen.
Heute würde ich es ganz anders machen - die schlimmsten Störer wären halt in einem Sonderförderunterricht, der leider zur gleichen Zeit stattfindet. Ich würde die Stunde genau planen und evt. Inhalte so tief einüben, damit die Kinder auf die Prüfung vorbereitet sind. Das machen viele Refis so und gerade in deiner Lage ist es so. Denke mal nur an deine Zukunft.
flipP.S. Ich drücke dir ganz fest die Daumen. Außerdem denke ich, am schlimmsten ist das, was die Kinder durchmachen müssen, die eine solche Kindheit erleben müssen - es ist wichtig, dass sie Lehrer haben, die für sie einstehen und sich für sie einsetzen. Mittlerweile merke ich, dass die Kinder das spüren und sich nach Jahren noch an die GS-Zeit erinnern - einige Schüler meiner ersten Klasse vor allem die, die es schwer hatten - melden sich ab und zu noch heute bei mir (nach 9 Jahren).
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Vielen Dank für euren Trost und eure mitfühlenden Worte. Ich werde morgen im Kollegium nachfragen, was als nächster Schritt auf die geschilderte Situation geplant ist.
phoenixe: Ich werde Prüfung in Sachunterricht (Gruppenarbeit zum Thema: Wasser, Klasse: 3) und in Musik (Einzel- und Partnerarbeit, Thema: Liederarbeitung, Klasse: 2).
Hast du einen wasserdichten Tipp, um Unruhequellen zu minimieren?
elefantenflip: Ja, das rede ich mir auch seit über einem Jahr ein, dass ich vermutlich an einer schwierigen Schule besser und realistischer ausgebildet werde als meine mitleidenden Kollegen. In der Tat hilft es nicht viel für den Moment, aber dafür langfristig - und das ist ja nicht gerade unwichtig!
Fünf Wochen habe ich noch bis zur Prüfung. Mein Vornoten werde ich in zwei Wochen erfahren....
Liebe Grüße von Catha -
hallo,
wasserdicht leider nicht - wasser findet ja immer einen weg...
aber du kannst natürlich im vorfeld sehr struktiriert vorgehen, damit deine gruppen bereits einen klaren ablaufplan haben und so zusammengesetzt sind, dass sie sich gut ergänzen. ich kenne das leistungsniveau deiner schüler nicht, aber oft ist es überraschenderweise so, dass viele schüler mit den ihnen anvertrauten aufgaben wachsen. soll heißen, du könntest kleine expertengruppen ernennen. allerdings ist das keine methode zum ins buchstäblich "kalte wasser" springen. du müsstest eigenlich versuchen die art der gruppenabeit (stationen? - alle die gleiche aufgabe oder differenziert?) an einem ähnlichen thema vorher schrittweise einzuüben. die schüler nehmen davon auch eine menge mit. es gibt gute seiten im netz über soziales lernen und kooperatives lernen lernen bei learn-line.de - nur als kleine anregung.
wie äußert sich die unruhe? denn ich könnte mir vorstellen, dass bei dem thema wasser oder in musik natürlich auch eine angeregte arbeitsatmosphäre herrschen wird, bei der es halt generelle lauter ist, als wenn schüler einen text abschreiben.
was ist dein "worst-case-szenario" für die stunden, bezogen auf deine "lieblings-querulanten"?so viele "-" ... ob´s dir was bringt weiß ich natürlich nicht.
ansonsten freue ich mich über infos über die art der unruhe,
erstmal eine ruhige nacht
liebe grüße, phoenixe
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