An der Uni besuche ich gerade ein Didaktikseminar, in welchem wir POEM, die Gedichtverfilmungen von R. SChmerberg, behandeln.
Was haltet ihr davon?
Würdet ihr es im Unterricht verwenden?
Gruß Jassy
An der Uni besuche ich gerade ein Didaktikseminar, in welchem wir POEM, die Gedichtverfilmungen von R. SChmerberg, behandeln.
Was haltet ihr davon?
Würdet ihr es im Unterricht verwenden?
Gruß Jassy
Ich war drin, und war so mittelbegeistert. Zum Teil entsprachen die videoclipartigen Verfilmungen durchaus meiner Idee der Idee hinter den Gedichten, zum Teil empfand ich sie als aufgesetzt und zu vordergründig.
Gerade bei Autoren, bei denen man ein tiefes und vielschichtiges Wissen um gesellschaftliche und politische Hintergrüde voraussetzen muss, kamen mir die Verfilmungen manchmal wenig subtil, teils gar peinlich vor.
Was sollte zum Beispiel diese Möchtegern- Version von Georg Trakls "Morgenlied"? Das Gedicht - zugegebenermaßen an sich pathetisch, aber aus gutem Grund - wird von einem treudoof blickenden jungen Mann in Rittermontur vorgetragen, er und sein outfit wirken dabei derart requisitenhaft aufgemotzt, dass man unwillkürlich lachen muss, selbst mit dem nötigen Hintergrund. Schade drum...
Was werden Schüler davon halten? Sicher interessant es herauszufinden - aber ich würde die Gedichte vorher gründlich behandeln und in einen komplexen Kontext stellen, bevor ich Gefahr laufen (lassen) würde, dass die lieben Schüler sich ein-für-alle-Mal von den Interpretationsansätzen/gelungenen Versuchen/missgriffen zu einem Bild verführen lassen, das dem gelesenen, gesprochenen Wort nicht entspricht.
Haben sie die Kraft des geschriebenen POEMs für sich erarbeitet, können sie sich der Verführung von manchmal arg vereinfacheden Bildern vielleicht widersetzen..
Hofft,
Heike
Als ich noch im Deutsch-LK war, habe ich mal eine Rezension dazu geschrieben und hier gepostet:
http://www.lehrerforen.de/oldf…3645609&search=schmerberg
lisa, danke für den Link, werde mir das mal durchlesen!
Heike, manche Umsetzungen finde ich ganz gut, aber manche sind echt das letzte!
Zb das eine mit den brennenden Brautkleidern am Schluss, das ist einfach nur noch krank! Manche würde ich wirklich keinem Schüler zumuten wollen. Mir selbst graust es ja schon beim Anschauen. Brrr...
Generell würde ich so vorgehen, dass ich erst das Gedicht lese und analysiere und danach als Zugabe noch das POEM dazu anschauen würde. Wenn überhaupt.
ZitatJassy schrieb am 06.07.2005 12:06:
Heike, manche Umsetzungen finde ich ganz gut, aber manche sind echt das letzte!
Zb das eine mit den brennenden Brautkleidern am Schluss, das ist einfach nur noch krank!
Inwiefern denn das? Die Zerstörung von Fruchtbarkeitssymbolen ist ja ein Topos seit der Ästhetik der Dekadenz - ist ja eigentlich nicht weiter ungewöhnlich. Ich hab den Film nicht gesehen, magst du mehr erzählen?
Nele
@Neleabels
Naja, ich finde den Film einfach nur scheußlich und kann auch nix damit anfangen. Zu sehen ist ein Hochzeitsvideo beginnend in der Kirche, danach kommt die Hochzeitsfeier, alle tanzen, essen, lachen etc. Das Gedicht dazu heißt denke ich, "Ich glaube und bekenne" von wem, weiß ich leider nicht mehr. Auf jeden Fall beginnt die Rezitation von dem Gedicht in der Kirche, man denkt zunächst der Pfarrer spricht. Es beginnt mit den Worten "Ich glaube und bekenne" und geht über das ganze Hochzeitsvideo weiter. Die Stimme, die es spricht ist eine männliche und für mich hört sich das Gesprochene mit jedem Satz mehr wie (entschuldigt den Vergleich, aber genau dies fiel mir dabei ein) Hitler bei einer seiner Reden. Das Gedicht geht dem Sinn nach so weiter "Ich gedenke meiner toten Mutter, meinem toten Vater".. es werden einige Verwandte aufgezählt... "Und ich bin froh, obwohl ich sie liebte, sie niemals wieder sehen zu müssen" So in der Art. Und dabei schreit der Sprecher am Schluss richtig und man denkt seine Stimme überschlägt sich sicherlihc gleich. Dann sieht man 3 Brautkleider, die brennen. Hm. Verstehe den Sinn davon nicht und ich finds einfach nur noch grausam. Mir lief es, als ich es ansah, eiskalt den Rücken herunter. Brrrr.
Falls jemand den Sinn versteht, bitte erklärt mir den Sinn davon.
ZitatJassy schrieb am 07.07.2005 09:23:
@Neleabels
Naja, ich finde den Film einfach nur scheußlich und kann auch nix damit anfangen.
Nunja, was ersteinmal da ist, ist ja offensichtlich eine außerordentlich starke Reaktion auf deiner Seite - das spricht für die eine sehr starke ästhetische Wirkung des Videos, das würde mir an deiner Stelle zu denken geben. (Das Video interessiert mich, muss ich mir mal besorgen...)
ZitatZu sehen ist ein Hochzeitsvideo beginnend in der Kirche, danach kommt die Hochzeitsfeier, alle tanzen, essen, lachen etc. Das Gedicht dazu heißt denke ich, "Ich glaube und bekenne" von wem, weiß ich leider nicht mehr.
Nach diesem Link hier:
http://www.roxykino-do.de/filme/poem3.htm
scheint es sich um Ernst Jandl: "glauben und gestehen" aus: poetische Werke in 10 Bänden, hg. von Klaus Siblewski, Band 8: der gelbe hund, S.103, München: Luchterhand, 1997, zu handeln. Wie du als Germanistin wahrscheinlich sehr viel besser weisst als ich, steht Jandl in der Tradition des Dadaismus, des Expressionismus und der experimentellen Lyrik. Jandl selbst hat in seinen Gedichtvertonungen mit Duktus und Sound, mit Jazzuntermalung experimentiert. Eine Jandl-Videoinstallation scheint also prinzipiell nicht weit hergeholt.
ZitatAuf jeden Fall beginnt die Rezitation von dem Gedicht in der Kirche, man denkt zunächst der Pfarrer spricht. Es beginnt mit den Worten "Ich glaube und bekenne" und geht über das ganze Hochzeitsvideo weiter. Die Stimme, die es spricht ist eine männliche und für mich hört sich das Gesprochene mit jedem Satz mehr wie (entschuldigt
Ach, lass doch die Moral, die steht im Literaturverstehen eh nur im Weg rum...
Zitatden Vergleich, aber genau dies fiel mir dabei ein) Hitler bei einer seiner Reden. Das Gedicht geht dem Sinn nach so weiter "Ich gedenke meiner toten Mutter, meinem toten Vater".. es werden einige Verwandte aufgezählt... "Und ich bin froh, obwohl ich sie liebte, sie niemals wieder sehen zu müssen" So in der Art. Und dabei schreit der Sprecher am Schluss richtig und man denkt seine Stimme überschlägt sich sicherlihc gleich. Dann sieht man 3 Brautkleider, die brennen. Hm. Verstehe den Sinn davon nicht und ich finds einfach nur noch grausam. Mir lief es, als ich es ansah, eiskalt den Rücken herunter. Brrrr.
Falls jemand den Sinn versteht, bitte erklärt mir den Sinn davon.
Vielleicht ist die Frage nach dem Sinn und der Ratio nicht unbedingt die sinnvolle oder vernünftige
In meiner Lesart kreist das Gedicht um die Grunkonzepte Familie, Verwandschaft, Freunde - Tot, Trennung - das Fehlen von Bedauern, Trauer. Das Gedicht zeigt einen Bruch: die unwillkürliche Assoziation von Familie, Freunden und Verlust äußert sich in Trauer und dem Wunsch, die Trennung rückgängig zu machen - gerade, wenn die Liebe intensiv war, wie die Persona in der zweiten Strophe andeutet. Im Gedicht wird allerdings die Abwesenheit eines solchen Bedauerns nicht nur ausgesprochen, die Persona *gesteht* die Abwesenheit jeden Wunsches, den Verlorenen wiederzubegegnen, womit das Thema der Schuld im Raum steht. Gleichzeitig weckt die erste Strophe in Duktus in Rhetorik in mir Erinnerungen an ein christliches Glaubensbekenntnis - Schuld und Sühne werden als Palimpsest sichtbar.
Du hörst den Tonfall von Hitlers Reden in der Rezitation des Gedichts - warum nicht? Das könnte darauf hinweisen, dass die Videoinstallation den Diskurs des 3. Reiches im Gedicht liest. Das könnte sinnvoll sein und erinnert an den brutalen Schnitt der '68er Generation: "traue keinem über 30" und sei es die eigene Familie. Der Nationalsozialismus als Totenkult (siehe Hitlers Testament aus dem Jahre 1945 - er verurteilt Deutschland zum Tode, weil es im Rassenkampf unterlegen ist...) Es wäre wahrscheinlich lohnenswert, Video und Intonation näher zu betrachten.
Auf jeden Fall treffen die brennenden Brautkleider die Stimmung der Entfremdung von der bourgeoisen Familien- und Freundschaftsvorstellung und treffen den verstörenden Ton des Gedichtes. Aber auch damit scheint die Installation in der Tradition von Jandls Einflüssen von Dada und Expressionismus zu stehen. Ich fühle mich bei deiner Beschreibung doch sehr an George Grosz erinnert.
Nele
P.S. Endlich Ferien! Endlich mal wieder Zeit für Literatur!!
Hallo Nele!
Danke für die ausführliche Antwort!
Du hast recht, es handelte sich um Ernst Jandl's Gedicht "Glauben und Gestehen".
Ich bin wahrscheinlich so sehr von der Inszenierung erschrocken, dass ich gar nicht mehr den Inhalt und den Sinn des Gedichtes/des Films sehen kann.
Danke deshalb für deine Ausführungen!
Ja, die Videos solltest du dir unbedingt mal ansehen!!! Interessant ist es auf jeden Fall, es sind halt ganz neue Sichtweisen, die man dadurch erst entdeckt.
Wenn du Interesse hast, man kann sich die DVD hier bestellen, gleichzeitig ist auch eine Schullizenz zur Vorführung im Unterricht inklusive.
Habe gerade noch was gefunden.
http://www.poem-derfilm.de
Das ist der Link zur Seite von POEM. Dort kann man sich zu den Videos sogar kleine Ausschnitte anschauen.
Auf der Hauptseite sind auf einer Wäscheleine Blätter angeklammert, da drauf klicken.
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