Bildungskompromiss Schleswig-Holstein - Sachkompetenz der Politiker?

1. offizieller Beitrag

    Hallo zusammen,


    nachdem ich mich lange schlaflos im Bett gewälzt habe :rolleyes: , höre ich in den 2-Uhr-Nachrichten, die "Volksparteien" bzw. ihre "Experten" :D hätten sich auf einen "Bildungskompromiss" in Schleswig-Holstein geeinigt. Schnell bei "Spiegel Online" nachgelesen, klingt dies so:


    Zitat

    Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD) erklärte, in der strittigen Frage des Schulsystems hätten sich CDU und SPD auf ein "Nebeneinander der Systeme" verständigt. Nähere Angaben wollten beide nicht machen. Die Details behalten die Verhandlungspartner zunächst für sich.


    Während die SPD im nördlichsten Bundesland die Gemeinschaftsschule nach skandinavischem Vorbild einführen will, dringt die Union auf eine Beibehaltung des dreigliedrigen Schulsystems.


    Lassen wir die tollen "Details", die noch kommen, erst mal beiseite... Aber:


    Abgesehen davon, dass die deutsche Politik offenbar mal wieder obsessiv damit befasst ist, "Gesichter zu wahren" (was immer das heißen soll), frage ich mich: Bedeutet dies irgend etwas Neues? Oder nur, was de facto schon in Teilen der Republik existiert?


    Konkret: Wenn ich die Dinge richtig sehe, lehren die Erfahrungen in diversen Ländern - v. a. Nordrhein-Westfalen - dass Einheitsschule (=Gesamtschule?) und 3gliedriges System UNVEREINBAR sind. Und zwar deshalb, weil das 3gliedrige System den Einheitsschulen die besseren Schüler entzieht und damit "beweist", dass Einheitsschulen nichts taugen. Es ist schlicht unmöglich, mit Einheitsschulen zu glänzen oder nur zu überzeugen, solange in der Nachbarschaft bereinigte Gymnasien und Realschulen existieren, die alle "Problemfälle" u. a. an die Einheitsschulen entsorgen.


    Nur, um es ganz klar zu sagen: Es geht mir nicht darum, eine der beiden Formen hier zu propagieren. Aber wenn es in SW ein 3gliedriges Schulsystem gibt UND die SPD wirklich eine Einheitsschule will - wäre es dann nicht klüger, jetzt KEINEN Kompromiss zu machen?


    Daher: Habe ich etwas verpasst? Ist die Einheitsschule etwas ganz anderes als die Gesamtschule? Ist die Situation in Schleswig-Holstein total anders als z. B. in NW - da (Klischee) in SW nur Kuhdörfer, in NW nur Großstädte? Oder bin ich dumm? Oder sind die Bildungsexperten dumm? Liegt hier eine echte Chance? Werden uns die Details der "Experten" noch vom Hocker haun?


    Ratlos bis erstaunt
    Unter uns

    • Offizieller Beitrag

    Ohne dass konkretes WIssen dahinter steckt: Die Gesamtschule ist schon anders als eine Einheitsschule, da in der Gesamtschule ja auch Selektion betrieben wird, wenn es nicht sogar die Idealform für Selektion ist (verschieden leistungsstarke Kurse). Unter Einheitsschule verstehe ich tatsächlich eine Schule, in der alle Kinder gemeinsam unterrichtet werden, es also extrem leistungsheterogene Klassen gibt.


    SH kann man übrigens tatsächlich nicht mit NRW vergleichen. Überwiegend kleine Gemeinden und Kleinstädte. "Großstädte" sind vielleicht Kiel, Lübeck und Flensburg(?). Was nicht heißen soll, dass es in kleineren Städten wie Schleswig, Neumünster, Rendsburg, Husum, Heide, Pinneberg, Norderstedt usw. keine Schulen gibt, die überwiegend Schüler aus sozial schwachen Familien oder mit Migrationshintergrund gibt.


    Dass die CDU sich in SH nicht vollständig auf eine Einheitsschule einlassen würde war ja klar. Es passt zumindest zu meinem Bild von der CDU und Bildung. Im SL hat die CDU z.B. dafür gesorgt, dass 1/3 der GS geschlossen werden.


    Gruß leppy

    Nur Kuhdörfer in SH? Waaaaaaaaaaah, sowas kann ich gar nicht hören :D
    Ok, im Vergleich zum Rest der Republik sind wir vielleicht etwas dünner besiedelt *hust*
    Ich fühle mich jedenfalls genötigt, ein paar Zahlen anzuführen:


    Einwohnerzahlen


    Insg. = 2.800.000
    # Kiel 229.044
    # Lübeck 213.804
    # Flensburg 85.012
    # Neumünster 79.269
    # Norderstedt 71.821
    # Elmshorn 48.222
    # Pinneberg 40.051
    # Itzehoe 33.297
    # Wedel 32.185
    # Ahrensburg 30.080
    # Geesthacht 29.432
    # Rendsburg 28.861
    # Henstedt-Ulzburg 25.588


    Gut, das sind keine Metropolen :D


    Bevölkerungsdichte von 178 Einwohnern/km² ist die sechstdünnste in Deutschland.


    Insgesamt gibt es in Schleswig-Holstein 1097 allgemein bildende und berufsbildende Schulen:


    * 627 Grund- und Hauptschulen,
    * 137 Sonderschulen,
    * 166 Realschulen,
    * 102 Gymnasien,
    * 24 Gesamtschulen,
    * sowie 41 berufsbildende Schulen.


    (http://landesregierung.schleswig-holstein.de)


    Also :D


    Ziele der Landesregierung:


    Offene Ganztagsschule als ganztägig geöffnetes Haus des Lernens, das in seiner lokalen Umgebung verankert ist.
    (Pressemitteilung des KM vom 12. August 2003)


    Ganztagsschulen spiegeln das Wünschenswerte und Machbare vor Ort wider und werden sich mit den Veränderungen vor Ort wandeln.
    (Pressemitteilung des KM vom 30. August 2004)


    Entwicklung in den nächsten zehn Jahren von getrennten Schularten im gegliederten System der Sekundarstufe I zur "Gemeinschaftsschule". Daneben bleiben die bereits bestehenden integrierten Systeme bestehen und werden ggfs. ergänzt.
    (Pressemitteilung des KM vom 1. November 2004 unter Berufung auf das Gutachten des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Universität Dortmund "Veränderungen der Schulstruktur in Schleswig-Holstein als Konsequenz demografischer und gesellschaftlicher Entwicklungen")


    (www.ganztagsschulen.org)

    Mensch, Lisa, ich bin ja seeeehr beeindruckt! Woher weißt Du das denn alles? Ich denke, ich spreche nicht nur mir aus dem Herzen :D , wenn ich die Gelegenheit nutze und einen Applaus für Schleswig-Holstein ausrufe:


    [Blockierte Grafik: http://www.mysmilie.de/smilies/froehlich/8.gif][Blockierte Grafik: http://www.mysmilie.de/smilies/froehlich/8.gif]


    Zitat

    Ziele der Landesregierung:


    Offene Ganztagsschule als ganztägig geöffnetes Haus des Lernens, das in seiner lokalen Umgebung verankert ist.
    (Pressemitteilung des KM vom 12. August 2003)


    Ganztagsschulen spiegeln das Wünschenswerte und Machbare vor Ort wider und werden sich mit den Veränderungen vor Ort wandeln.
    (Pressemitteilung des KM vom 30. August 2004)


    Was für schöne Sätze. Aber bedeuten die irgend etwas ?( ?


    leppy:


    Zitat

    in der Gesamtschule ja auch Selektion betrieben wird, wenn es nicht sogar die Idealform für Selektion ist (verschieden leistungsstarke Kurse)


    Das stimmt natürlich, daran hatte ich nicht gedacht. Aber die Selektion in der Gesamtschule scheint doch nicht stark genug, um z. B. von den Gymnasien in großem Stil leistungsstarke Schüler abzuziehen. Aber wenn natürlich in einer kleinen Gemeinde nur eine Schule existiert, klappt ein Nebeneinander der Systeme vielleicht wirklich.

    Zitat

    unter uns schrieb am 12.04.2005 17:18:


    Das stimmt natürlich, daran hatte ich nicht gedacht. Aber die Selektion in der Gesamtschule scheint doch nicht stark genug, um z. B. von den Gymnasien in großem Stil leistungsstarke Schüler abzuziehen. Aber wenn natürlich in einer kleinen Gemeinde nur eine Schule existiert, klappt ein Nebeneinander der Systeme vielleicht wirklich.


    Es ist zwar grundsätzlich richtig, dass Gesamtschulen unter dem sog. "creaming effect" leiden, d.h. dass die Leistungsspitze - das 'Sahnehäubchen' sozusagen, um im Bild zu bleiben ;) - vom gesellschaftlich eher anerkannten Gymnasium abgeschöpft wird.


    Im Einzelfall aber kann das auch anders laufen. NRW: So sind zum Beispiel die Gesamtschulen im Bonner Raum recht beliebt und haben mehr Anmeldungen als sie verkraften können; das Niveau gilt durchweg als hoch (im Volksmund spricht man gar im Hinblick auf manche Gesamtschule vom 'Gesamtgymnasium'). Aber da sind die Rahmenbedingungen halt besonders günstig.


    Dass das Gesamtschulsystem ein reines Selektionssystem sei, halte ich im übrigen für eine gewagte These. (Es ist allerdings richtig, dass der Übertritt in die OS für Gymnasiasten einfacher ist als für Gesamtschüler, letztere müssen einen bestimmten Notenschnitt haben, erstere müssen hingegen nur allzu viele Defizite vermeiden).

    Einmal editiert, zuletzt von philosophus ()

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