I have a dream

  • Ich wünsche mir eine Elternschaft, die


    - sich um ihre Kinder kümmert
    - ihre Kinder nicht vernachlässigt
    - ihre Kinder nicht schlägt
    - ihre Kinder nicht tagelang allein lässt
    - ihren Kindern nicht nur in betrunkenem Zustand begegnet
    - ihren Kindern beibringt, dass man Konflikte auch ohne Gewalt lösen kann
    - sich für ihre Kinder zumindest ansatzweise interessiert
    - auf Briefe aus der Schule reagiert
    - ihren Kindern die erforderlichen Schulmaterialien kauft und mitgibt
    - ihre Kinder nicht bis 0 Uhr und länger Fernsehprogramm nach freier Wahl schauen lässt
    - zu Elternabenden kommt
    - ihre Kinder so erzieht, dass sie nicht nur auf Schreien reagieren und selbst schreien
    - ihre Kinder regelmäßig zur Schule schicken
    - manchmal einen Blick in die Hefte ihrer Kinder wirft
    - ihren Kindern ein paar Werte und Regeln vermittelt
    - sich dafür interessiert, wenn ihre Kinder andere beschimpfen und angreifen
    ...
    Es wäre so schön.


    Leider erlebe ich es im Schulalltag oft ganz anders. Erlebt ihr Ähnliches? Wie geht ihr damit um?

  • Zitat

    Wie geht ihr damit um?


    Ich richte meinen Blick mehr auf die Kinder als auf die Eltern und versuche ihnen in der Schule ein zweites - im Grunde eigentlich das erste - Heim zu geben.


    Wenn ich mit den Eltern spreche, versuche ich in erster Linie aktiv zuzuhören und gebe nur an wenigen Punkten einen konkreten Ratschlag. Mit Elternarbeit bei Eltern wie den beschriebenen habe ich kaum "Erfolgserlebnisse", und bei der dann zwangsläufigen Zusammenarbeit mit dem Jugendamt auch nicht mehr.


    Die Kinder geben mir dennoch Anlass zu einer optimistischen Sichtweise, sonst könnte ich meine Arbeit gleich an den Nagel hängen.
    Bablin

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

    • Offizieller Beitrag

    Sehr schön formuliert, Bablin!


    Bei uns im Lehrerzimmer hängt dieser Text in etwas anderer Form auch und dient gerne mal dazu, die Sinnlosigkeit des Lehrerdaseins zu unterstreichen ("So isses...Da können wir nichts machen...").
    Außerdem finde ich auch, dass damit ebenso schwarz-weiß gemalt wird, wie mit der Aussage: Alle Lehrer sind (mindestens) potentielle Kindermobber.


    Leider enthält der Text natürlich Wahrheiten *seufz*
    Aber was ist die Konsequenz?
    Mir gefällt, was Bablin gesagt hat: den Kindern ein zweites (erstes) Zuhause in der Schule geben und sich nicht entmutigen lassen!


    LG, Melosine

  • Ich wollte nicht schwarz-weiß malen und wollte auch nicht behaupten, dass alle Eltern so wären.
    Ich mache mein Referendariat an einer Schule in einem sozial schwierigen Gebiet und bin oft erschreckt über das, was ich erlebe. Mir war vorher nicht bewusst, in welchen "Verhältnissen" viele meiner Schüler aufwachsen.
    Es war mir vorher wirklich nicht klar, ich fühle mich unvorbereitet inmitten vieler sozialer Probleme und soll Schülern so Wissen beibringen, wenn andere Dinge viel wichtiger für sie wären. Ich habe mich in meinem Beitrag auf die Eltern bezogen, weil ich zehn-, zwölf- oder vierzehnjährige kaum für das verantwortlich machen kann, was sie erleben.


    Es wäre so schön zu hören, dass andere auch Ähnliches erleben. Oder ist meine Schule hier die absolute Ausnahme?
    Hat niemand von euch die Realität in einem schwierigen sozialen Umfeld als Schock erlebt oder leben eure Schüler überwiegend in einem intakten sozialen Umfeld?
    Es ist so frustrierend. Ich wollte mir das mal von der Seele schreiben, da es mich sehr belastet.
    Wie kann so etwas passieren und was kann man dagegen tun?

  • Zitat

    Es wäre so sch ö n zu hören, dass andere auch Ähnliches erleben.


    ???


    Zitat

    ist meine Schule hier die absolute Ausnahme?


    Wer schon länger in diesem Forum engagiert ist, muss damit rechnen, dass seine Identität - und damit auch die seiner Schüler und Eltern - dem einen oder anderen bekannt sein könnte und wird folglich mit Details über Art und Umfang der von dir genannten Verhaltensweisen äußerst zurückhaltend umgehen ...


    Bablin

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

  • Zitat

    Es wäre so schön zu hören, dass andere auch Ähnliches erleben.


    Ich finde, das wäre überhaupt nicht schön und ich wäre sehr zufrieden, wenn du die einzige bist, bei der es so ist. Das wäre dann zwar besonders dumm für dich gelaufen, aber letztlich besser... :)

    Die Wälder wären sehr still, wenn nur die begabtesten Vögel sängen - HEnRy vAn dyKe

  • Such mal nach "Kreideschachtel", da sind dann meine Erfahrungen zum Thema verwurstet - nicht ganz so heftig wie das, was du beschreibst, aber auch nicht schlecht. Die härtere Version des bislang so behüteten Lebens krieg ich jetzt am Berufskolleg bzw. der Abendrealschule mit, mit dem Unterschied, dass die Kinder da schon so groß sind, dass sie für sich selbst verantwortlich sein müssen. Du bist beileibe nicht die Einzige...


    Trotzdem... gerade weil ich mich noch sehr genau an mein blutendes junges Referendarsherz erinnere, das allen leidenden Kindern Mutter, Vater, Oma, Opa, Bibliothek, Teddybär und Nachhilfelehrer zugleich sein wollte, vielleicht eine ganz vorsichtige Empfehlung zur Behutsamkeit. Mit Behutsamkeit meine ich nicht Gleichgültigkeit oder Feigheit oder Resignation. Mit Behutsamkeit meine ich


    - genaue und langandauernde Beobachtung, welches Spiel gespielt wird. Sind die Eltern so schrecklich, wie der Schüler sich ausheult, oder spielt er Schule und Eltern gegeneinander aus? Wird die Schülerin zuhause so vernachlässigt oder hat sie keine Lust auf Hausaufgaben? Schüler als relativ Machtlose in einem auf Macht beruhenden System müssen fast zwangsläufig sehr gut in der Ausbeutung von Schwachstellen sein, die niedliche "arme Häschen" Perspektive kann da zum Problem werden.


    - abwägen, welche Hilfe sinnvoll ist und welche Hilfe man leisten kann. Stetiges Verständnis kann das Gegenteil von Hilfe sein, und es lohnt sich, sich selbst scharf im Auge zu behalten, ob man wirklich sinnvoll tätig wird oder gerade seinen eigenen Helferkomplex austobt. Eine der gefährlichsten Arten von Hilfe ist die Art, die plötzlich wieder weg ist - was hat ein Kind davon, wenn es anfängt dem Refi zu vertrauen und auf seine Hilfe zu bauen und dann ist der Refi verschwunden? Eine Verlusterfahrung mehr?


    - mit einer gewissen Sorge sehe ich das Konzept vom "zweiten/ ersten" Zuhause. Klar sollen Schüler gern in die Schule kommen und dort Rückhalt finden - aber Schüler zum eigenen Familienersatz zu erklären finde ich gefährlich. Eltern und Lehrer sind meist eh schon in einem massiven Konkurrenzverältnis (deshalb haben sie auch so viel aneinander auszusetzen), wenn ich als Lehrer jetzt noch die Ersatzmami spiele, bringe ich die Kinder zum Teil in einen Konflikt, der ihr Leben um keinen Pfennig besser macht (außerdem: Ausspielgefahr, s.o.). Anstatt die Eltern als pflichtvergessene "Erfüllungsgehilfen" meiner eigenen Vorstellung von Erziehung zu sehen, würde ich, wo immer es möglich ist, versuchen, von meinem bürgerlichen Ross herunterzukommen und zu begreifen, wo sie mit ihren Kindern hinwollen und wie wir sinnvoll zusammenarbeiten können. Dann gibt's immer noch einige (aber nicht mehr so viele) Eltern, die ihre Kinder hassen bzw. sie überhaupt nicht für sie interessieren, aber selbst dann - Ersatzmutti geht nicht. Ist nicht leistbar. Erster Gesprächspartner sein, an Anlaufstellen vermitteln, andere Lösungswege aufzeigen und so viel Ermutigung wie nur irgend möglich zukommen lassen, ja. Mehr geht nicht.


    w.

    Frölich zärtlich lieplich und klärlich lustlich stille leysejn senffter süsser keuscher sainer weysewach du minnikliches schönes weib

    Einmal editiert, zuletzt von wolkenstein ()

  • Zitat

    Ich ... versuche ihnen in der Schule ein zweites - im Grunde eigentlich das erste - Heim zu geben.


    D a s habe ich gesagt, nicht mehr und nicht weniger.


    Ich habe nicht gesagt: Ich versuche ihnen die Mutter zu ersetzen, sondern: Ihnen ein Heim zu geben. Ich habe auch bewusst nicht gesagt: Ein Zuhause.


    Es geht auch gar nicht um das, was ich brauche, sondern um das, was die Kinder brauchen. Im übrigen bin ich Mutter in meiner Familie mit Mann und 5 Kindern, (eins davon ein von seinen Eltern extrem abgelehntes Pflegekind) und durchaus nicht in der Gefahr, mir Familienersatz und Streicheleinheiten in der Schulklasse holen zu müssen.


    Zudem wäre bei der Überlegung, was Schule kompensierend leisten kann und soll, nach Schulart und Alter der Kinder zu differenzieren.


    Bablin

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

  • Hallo Bablin,


    ich hab dich nicht angreifen wollen. Du hast schon recht: Differenzieren nach Schulform, Schüler und Lehrer ist unerlässlich. Ich wollte einfach nur die andere Seite zu bedenken geben.


    Mit einer Entschuldigung für missverständliche Formulierung,
    w.

    Frölich zärtlich lieplich und klärlich lustlich stille leysejn senffter süsser keuscher sainer weysewach du minnikliches schönes weib

  • Entschuldigung ist angekommen und angenommen.


    B.

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner

  • Hallo MissMarple,


    ich wäre dann wohl für Dich eine Traummutti, selbst die KL unserer Tochter meint doch tatsächlich, dass wir zu streng sind. :D


    Aber was soll ich denn bei einem ADS-Kind machen? Das kann ich nicht "ungezogen" auf die Lehrkraft loslassen.


    Du wirst es leider, je nach Schulart und Einzugsgebiet der Schule noch oft erleben, dass für manche Eltern die Kinder leider nur belastetend sind.


    Ich kenne solche Schilderungen von Kitas aus einer Großstadt in unserer Nähe, da habe ich die Landeszuschüsse zu den Personalkosten gezahlt.


    Die Kinder werden dort z.T. erst einmal gewaschen und angezogen und beköstigt.


    Da kann man leider nicht erwarten, dass sich solche Eltern um die Schule kümmern. Manche Kinder waren dann von Krippe bis Hort in einer Tageseinrichtung.


    Dort gab es dann so eine Art "zu Hause".


    Lehrer an den Schulen in diesen Gebieten haben es auch sehr schwer und können so etwas kaum auffangen.


    Es ist schlimm, dass es für einige Menschen so schwierig ist, ein geordnetes Leben zu führen, und dann auch noch Kinder leiden.


    Zum Glück gibt es sehr viele andere bessere Fälle.


    Doris Schmitt

  • Hallo Miss Marple,
    du bist nicht allein mit solchen Problemen an der Schule! Die gibt es (fast) überall. Schlimm ist, dass ihr als Reffis da nicht drauf vorbereitet werdet! Es IST eine riesengroße Belastung für die LehrerInnen, die man nicht ablegen kann, wenn man die Schultür zumacht. Und damit müssen wir umgehen lernen. Also wissen: was kann ich tun oder muss ich tun, um dem Kind zu helfen? Und auch: wo muss ich an mich denken, damit ich nicht "kaputtgehe"? Gut ist es, wenn man solche Fragen mit Kollegen bzw. Kolleginnen besprechen kann. Aber es müsste dringend auch Thema in euren Seminaren sein!
    Gruß venti :)

  • Hallo,


    natürlich erleben das andere auch.


    Mein Weg damit umzugehen:


    Zum einen habe ich insgesamt ein positives Menschenbild und bin davon überzeugt, dass so gut wie alle Eltern das Beste für ihr Kind wollen - nur manchmal läuft das Leben eben nicht so, wie man es sich wünschen würde.


    So bringe ich das auch im Elterngespräch rüber - Vorwürfe und Anschuldigungen führen bestimmt nicht weiter - als erstes kläre ich, dass man das gleiche Ziel hat und zusammenarbeiten muss.


    Im Gespräch erwähne ich zuerst die Stärken des Kindes und versuche zu vermitteln, dass das Kind es wert ist, dass man sich darum kümmert, dass die Eltern auch viel Positives erreicht haben und das Negative noch abstellen müssen. Und ich stoße damit fast nie auf taube Ohren.


    Ich habe mir ein Repertoire an Adressen zusammengestellt, Erziehungsberatungsstelle, Vereine, Suchtberatung, Schuldenberatung u.ä., so dass ich konkret sagen kann, wohin man sich wenden kann.


    Manchmal gibt es aber auch Fälle, wo man nicht weiter kommt - hast du alle Möglichkeiten ausgeschöpft, inklusive Jugendamt, musst du irgendwann eine Grenze ziehen und anerkennen, dass du nicht allmächtig bist und sich manches deinem Einfluss entzieht.


    Und: Mit den Jahren wird man sicherer, als am Anfang Eltern zu mir kamen, waren sie für mich uralt und ich habe mich kaum getraut, irgendwelche Ratschläge zu geben - das ist aber nur eine Frage der Zeit.


    LG
    Tina

    Ein Hund denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, sie müssen Götter sein!" Eine Katze denkt: "Sie kümmern sich um mich, sie versorgen mich, ich muss ein Gott sein!"

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    wolkenstein schrieb am 11.03.2005 17:00:
    - mit einer gewissen Sorge sehe ich das Konzept vom "zweiten/ ersten" Zuhause. Klar sollen Schüler gern in die Schule kommen und dort Rückhalt finden - aber Schüler zum eigenen Familienersatz zu erklären finde ich gefährlich.


    Nur um auch das zu klären: auch ich hab weder gesagt noch vor, die Schüler zum Familienersatz zu erklären! Ich hab selber Familie und damit wirklich genug zu tun!
    Wem das Wort "Zuhause" nicht gefällt, der mag es durch "Heim" o.ä. ersetzen, doch das ist Wortklauberei.


    Es geht eben genau um Rückhalt und Unterstützung, aber auch unter dem dem Aspekt der Förderung von Selbstständigkeit.
    Und den Kindern keinen Halt zu bieten, mich nicht auf Beziehungen einzulassen, weil ich als Refi irgendwann wieder gehe, kann es doch auch nicht sein!
    Wenn Kinder diese Erfahrung in der Schule oder auch mit anderen Erwachsenen erleben, wirkt das doch nachhaltig.


    Übrigens, Miss Marple, wollte ich dich nicht der schwarz-weiß Malerei bezichtigen. Vielmehr geht es mir um den Text und die Reaktionen darauf, die ich mitbekommen habe.


    LG, Melosine

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