Arme (dumme?) Jungs

  • Woran liegt es?
    An den Jungs? Der vaterlosen Gesellschaft? Den Eltern? Dem zunehmenden Matriarchat in der (Grund-) Schule?


    Immer mehr Jungs geraten bildungsmäßig ins Abseits:


    Spiegel 06. August 2004
    "VERNACHLÄSSIGTE JUNGEN - Männlich? Sechs, setzen"
    [URL=http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,311812,00.html]http://www.spiegel.de/unispieg…bar/0,1518,311812,00.html[/URL]


    ZDF 06. August 2004:
    DIHK-Studie: Junge Männer werden vernachlässigt Bericht: Von Jugendarbeitslosigkeit häufiger betroffen als Frauen
    [URL=http://www.heute.t-online.de/ZDFheute/artikel/15/0,1367,WIRT-0-2151215,00.html]http://www.heute.t-online.de/Z…67,WIRT-0-2151215,00.html[/URL]


    Hamburger Abendblatt 6.8.2004:
    Junge Männer scheitern öfter als junge Frauen
    Studie belegt, dass die Förderung von Mädchen richtig war, aber die Jungen darüber vernachlässigt wurden - mit fatalen Folgen fürs Arbeitsleben.
    http://www.abendblatt.de/daten/2004/08/06/326231.html

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

  • Siehe auch Stanat/Kunter (2001): Geschlechterunterschiede in Basiskompetenzen. In: Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich, S. 249 - 269.


    Die haben das schon 2001 gesagt und neben dem Aufschrei wegen Kindern mit Migrationshintergrund kam auch ein Gender-Aufschrei... Beides verhallte konsequenzlos X(


    Hauptergebnisse der internationalen PISA-Studie im Bereich Gender:
    - größter Unterschied zwischen Mädchen und Jungen im Bereich Lesen (Testwerte der Mädchen liegen zwischen einer drittel und einer halben Kompetenzstufe höher als bei Jungen)[drittel bis halbe Kompetenzstufe heißt an Punkten ungefähr soviel wie der Gesamtunterschied PISA zwischen Schweden & Deutschland ist]
    - Mathematische Leistungen bei Jungen stärker ausgeprägt als bei Mädchen -> allerdings Vorsprung nicht so hoch wie der im Bereich Lesen bei den Mädchen
    - beim Lesen sind Jungen den Mädchen vor allem im Reflektieren/Bewerten und bei kontinuierlichen Texten unterlegen (kontinuierliche Texte: Prosatexte, in Erzählungen, Kommentare, Argumentationen etc. --- nichtkontinuierliche Texte: Grafiken, Formulare, Tabellen... da waren die Jungs zwar schlechter als die Mädchen, aber "nur" halb so schlecht wie bei kontinuierlichen Texten)
    - dabei spielen Schulformen keine Rolle, lediglich bei nicht-kontinuierlichen Texten erzielen Jungs in Haupt, Realschule, Gym höhere Werte als Mädchen
    - betrachtet man die Kompetenzstufen (1 bis 5), so sind im Bereich Lesen die meistens Jungen wie Mädchen auf Stufe 3 (26,9 %) , dann gehts rapide abwärts: Stufe 4: Mädchen = 23,5%, Jungen = 15,6%; Stufe 5: Mädchen = 11,1%, Jungen = 6,8%
    - motivationale Angaben: z.B. bei Frage "Ich lese NICHT zum Vergnügen" - Jungen: 40,2%; Mädchen: 23,3% (Deutschland: Jungen = 54,5% [!!!], Mädchen = 29,1%)


    usw.


    (PISA & andere Schulvergleichsstudien waren meine Prüfungsthemen in Dipl.EZW)


    LG, das_kaddl

    • Offizieller Beitrag

    Hallo ihr,


    ich will euch jetzt nicht komplett vor den Kopf stoßen und das mag ja alles gut und schön sein, aber ich hab da doch ein paar Kritikpunkte an diesen Zeitungsartikeln.


    1. Was mir nicht klar ist: Wenn ein Junge sagt, dass er nicht zum Vergnügen liest, was meint er dann? Es gab bereits vor ca. 10 Jahren eine Studie der Bertelsmannstiftung, in der 9- und 11jährige Kölner Kinder gefragt wurden nach Leseinteressen. Viele Mädchen lasen gern belletristische Literatur, viele Jungen lieber Sachbücher.
    Für mich ergibt sich nun eine Formulierungsgeläufigkeit in unserer Gesellschaft: Belletristik liest frau (man) zum Vergnügen. Aber wie viele Leute würden sagen: "Ach, ich habe grade zum Vergnügen ein Sachbuch über... gelesen." ? Viel eher wird doch die Formulierung "Ich lese gerade ein Sachbuch über..., weil ich mehr über das Thema erfahren möchte / weil mich das Thema interessiert / weil ich es für den Beruf oder die Schule oder ... brauche..." auftreten.


    2. Im Artikel ist davon die Rede, dass die Jungen "abrutschen". Es werden dafür aber keinerlei Belege aufgeführt, sondern es wird lediglich ein Stand von 2001/2002 wiedergegeben, der nicht so gut aussieht. Aber wer sagt, dass z.b. zwischen 1991/1992 und 2001/2002 ein Abrutschen stattfand? Vielleicht war der Unterschied damals auch schon da? (Von den MitschülerInnen, die ich zwischen 1981 und 1994 erlebt hab, die sitzen blieben oder ihr Abi nicht schafften, waren ca. 70 % Männer. Jetzt sind es laut Artikel 60%. Wobei die natürlich ne größere Menge von SchülerInnen in der Statistik drin haben.)
    Solange nur die Zahlen angegeben werden, die im Artikel genannt werden, sollte es korrekt nicht lauten "Immer mehr Jungs geraten ins Abseits" sondern "Viele Jungen geraten ins Abseits."


    3. Nimmt das Matriarchat an der Schule wirklich zu? Sind wir wirklich eine "vaterlose Gesellschaft"?


    4. Ich habe wenn ich mir die Statistik so ansehe den Eindruck, dass Männer ein breiter gestreutes Feld abgeben: Mehr Männer als Frauen brechen die Schule ohne Abschluss ab, aber auch weit mehr Männer als Frauen erreichen Spitzenpositionen.


    Prinzipiell ist die Statistik natürlich schon erschreckend, aber ich wünsche mir eben trotzdem eine halbwegs korrekte Interpretation. Falls es noch ne andere Statistik gibt, die dort nicht drin steht: Her damit.


    Grüße,
    Conni

  • Hallo Conny,
    als "Beweis" empfehle ich so durchweg alle Schulleistungsstudien, sowohl nationaler als auch internationaler Art:


    PISA (quelle siehe oben), TIMSS, LAU, CIVICs etc.


    Dabei handelt es sich nicht um Zeitungsartikel, sondern um standardisierte Tests mit Pre- & Posttest, Kontrollgruppen etc. etc.


    LG, das_kaddl

  • Alte Statitikerweisheit:

    Zitat

    Trau keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast!

    Vorurteilsfrei zu sein bedeutet nicht "urteilsfrei" zu sein.
    Heinrich Böll

    • Offizieller Beitrag

    Hi kaddl,


    wurden die genannten Studien denn in verschiedenen jahren durchgeführt und ist über die Jahre eine stärkere Verschlechterung der Leistungen/Bildungsabschlüsse/Leseinteressen der Jungen als der Leistungen/Bildungsabschlüsse/Leseinteressen der Mädchen festzustellen?


    alias
    Genau
    Außerdem habe ich mal in Grundschulpädagogik in einer Veranstaltung über Familiendarstellungen in Kinderbüchern gesessen, wo auf ein Buch zurückgegriffen wurde. Weiß nicht mehr wie es hieß, es war von 2 Soziologen und in einem Fachbuchverlag publiziert.
    Jedenfalls hatten die Haushalte befragt, wie viele Kinder sie haben. Dabei stellte sich heraus, dass 50% der Haushalte, die überhaupt Kinder haben, Ein-Kind-Haushalte sind. Daraus schlussfolgerten die beiden Herren, dass 50% aller Kinder, die in allen befragten Haushalten mit Kindern leben, Einzelkinder seien, was völliger Blödsinn ist. (Dazu müsste man nämlich die Haushalte mit 2 Kindern doppelt zählen, die mit 3 Kindern 3fach und so weiter.) Seither bin ich sehr misstrauisch gegenüber Statistiken.


    Grüße und schönen Sonntag,
    Conni, die seit Mitwoch bei der Hitze wieder zur Schule muss.

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