Gestern sah ich auf Arte den Film "Sein und Haben", zu dessen Entstehung der Regisseur sich wie folgt äußert:
"Die Dokumentation von Nicolas Philibert beobachtet den Schulalltag einer Grundschulklasse in der Auvergne.
Etre et avoir ist kein Dokumentarfilm im traditionellen Sinne, mit einem demonstrativen und didaktischen Zugang. Ich wollte eine Geschichte erzählen, Emotionen hervorrufen und nahe an den Protagonisten dranbleiben. Ich wollte ihre Erfahrungen, ihre Freuden und ihre kleinen Dramen miterleben, die ganze Palette an Gefühlen, die wir auf jenem steinigen Pfad durchleben, auf dem wir Lesen, Schreiben, Rechnen und schließlich Erwachsenwerden lernen. Bevor ich diese eine Schule aussuchte, die nur aus einer einzigen Klasse besteht, hatte ich 300 kontaktiert und gut 100 von ihnen besucht. Ich wollte eine Schule mit einer kleinen Schülerzahl, etwa 10 bis 12, so dass man jedes Kind leicht identifizieren kann. Und ich wollte ein möglichst breites Altersspektrum, vom Kindergarten bis zum letzten Jahr der Grundschule, um die Atmosphäre und den Charme dieser eklektischen kleinen Gemeinden und die Arbeit, die den Lehrern abverlangt wird, zu zeigen. Während der Vorarbeiten, die gut fünf Monate dauerten, lernte ich viele Lehrer kennen, von denen die meisten außergewöhnlich engagiert in ihrer Arbeit waren. Ihre Methoden und ihre Vorstellungen von Erziehung waren sehr unterschiedlich, aber da ich nicht qualifiziert war, das zu beurteilen, beließ ich es im Hintergrund. Der Lehrer, den ich schließlich auswählte, Georges Lopez, wurde mir vom regionalen Schulinspektor empfohlen. Trotz seines leicht traditionellen Zugangs, erschien er mir in dem Moment, als ich durch die Tür seines Klassenzimmers trat, als der richtige Mann. Und ich hatte niemals Grund, meine Entscheidung zu bereuen. Trotz seiner vermeintlich autoritären Haltung entdeckte ich bald einen subtilen und bescheidenen Mann, dessen Hauptaugenmerk seinen Schülern gilt. Der Film verdankt ihm eine Menge, und ich denke, das kommt auch klar heraus. (Nicolas Philibert)"
Als Lehrerin sah ich dort vieles, was didaktisch, methodisch oder von der Gesprächsführung her verschult, ja "falsch" war. (Hier ein wenig Kritik in einer der sonst überwiegend positiv bewegten Filmbesprechungen: http://www.zeit.de/2003/04/Etre_et_avoir
"... Die Schule, das Tor zu einer unbekannten Welt, aber auch Ort der Erziehung und Reglementierung. Beiläufig drängen die alten Fragen der Pädagogik ins Bild: Wie viel Freiheit und Überschwang muss man nehmen, um Wissen zu geben? Was sind notwendige Grenzen, und wo wird die Disziplinierung zum bloßen Ritual? Manchmal lauert in Monsieur Lopez’ sanften Standpauken eine routinierte Selbstgerechtigkeit, die jede harmlose Schubserei zum pädagogischen Exempel macht ...")
Und doch sah ich vor allem einen Menschen, der, kurz vor seiner Pensionierung stehend, noch immer mit Leib und Seele Lehrer ist und sich mit seinen SchülerInnen immer wieder neu auf Entdeckungsreise begibt, als entdecke er jedes Wissen, jede Regel auch selber grade staunend neu.
Ich fragte mich, wie er sich entwickelt hätte, wenn er mit scharfer, im Einzelfall wohl berechtigter Kritik konfrontiert worden wäre, ob er im Fall solcher Konfrontationen ein "besserer oder "schlechterer" Lehrer geworden wäre.
Wer kennt den Film und möchte sich zu ihm äußern?
Bablin