Ist es noch normal, normal zu sein?

  • Eigentlich wollte ich diesen Beitrag unter Eltern fragen Lehrer einstellen- aber da habe ich keinen Einstellbutton fuer neue Beitraege gefunden.Aber hier passt er auch- jedenfalls wenn man auch als Nichtlehrer schreiben darf.


    Meine Kinder sind voellig normal, es laueft ordentlich- so war es schon in Berlin, wo sie eingeschult wurden, so ist es hier in Kanada, wo wir seit anderthalb Jahren leben.


    Aus Berliner Zeiten, aus Telefonaten mit Freundinnen, aus Erzaehlungen meiner Mutter habe ich inzwischen den Eindruck gewonnen, dass es kaum noch normale Kinder gibt.So viele beschreiben ihr Kind als "hochbegabt" oder als " ADHSler"- ich kann es mir nicht vorstellen. Ich meine, es gibt ja eine Verteilungskurve von Begabung, und leider ist die Mehrheit der Menschheit durchschnittlich- woraus sich eben auch der Durchschnitt ableitet. Es kann nicht sein, dass ein Drittel einer Klasse hochbegabt ist.Man kann das schlecht mit den Eltern diskutieren- man wird ja sofort des Neides bezichtigt. Genauso mit ADHS- zeigt man nicht sofortiges Mitleid fuer diese Krankheit, gilt man als verstaendnislos.


    Da ich selber Vollzeit arbeite und wir vier Kinder haben, zwei Schuljungen,und wir nur zu Elternsprechtagen und- abenden in die Schule gegangen sind, habe ich wenig damit zu tun gehabt. Auffaellig war nur, dass jeder fuer sein Kind besondere Behandlung und Foerderung verlangt hat.Ich habe mich nicht weiter drum gekuemmert- wenns laeuft bei uns...Hier in Kanada ist es aber komplett anders, hier reissen sich alle um normale Kinder und weder Hochbegabung noch ADHS ist hier ein Thema.Deshalb faellt es mir jetzt ja so auf und ich mache mir Gedanken, wie es weiter gehen soll, wenn wir nach Deutschland zurueckkehren- ich habe ja noch zwei kleinere Kinder, die die Grundschule durchlaufen muessen.


    Meine Fragen: Haltet Ihr das fuer eine Modeerscheinung mit der Hochbegabung und dem ADHS- oder gibt es auch hier, wie im richtigen Leben, die Zweidrittelgesellschaft, also eine deutliche Polarisierung in die Extreme und das Verschwinden der Mittelschicht bzw. der normalen unauffaelligen Kinder?


    Was ist ueberhaupt Hochbegabung? Wenn man mir sagt, ein Kind, das mit 5 Jahren lesen koenne und bis 100 zaehlen oder addieren, sei hochbegabt, dann kann ich nur sagen, dass hier in Kanada schon im SK, senior kindergarten, die 5jaehrigen planmaessig rechnen, schreiben und lesen lernen, dann also alle Kanadier hochbegabt sein muessen. Das kann ja nicht sein- also was ist genau ein hochbegabtes Kind?


    Und wo ist der Unterschied zwischen krankhaftem ADHS und Unkonzentriertheit, Zappeligkeit, Unhoeflichkeit, schlechtem Benehmen?


    Ich mache mir inzwischen Sorgen, dass meine Kinder " schlechter" wegkommen, wenn sie "normal" sind und ich sie nicht mit einem Problem etikettiere.Sprich, wer ADHS hat, darf mehr schwaetzen als ein normales Kind bis zur Ermahnung, ein hochbegabtes Kind darf eine Arbeit unvollendet abgeben, weil es wegen Unterforderung frustriert ist was Krankheitswert hat waehrend ein " normales" Kind einfach eine unvollstaendige Arbeit abgegeben hat, ein Kind mit Legasthenie darf Rechtschreibfehler machen, ohne dass die benotet werden, ein normales Kind muss richtig schreiben, ein Kind mit Dyskalkulie braucht nicht mehr rechnen.Meint Ihr, dass bei objektiv gleichen Leistungen ein Kind mit diesen Problemen "besser"wegkommt als ein unauffaelliges Kind?


    Oder meint Ihr, dass mein Eindruck falsch ist, es genausoviel oder wenig " besondere" Kinder wie frueher gibt, die Leute nur viel mehr darueber reden?
    Ich waere echt mal an einer Einschaetzung aus Lehrersicht interessiert.


    Benedikte
    :):)

  • Ich halte die ganze Diskussion um ADHS und/oder Hochbegabung lediglich für Entschuldigungen für das eigene Versagen in der Erziehung. Dadurch, dass bei sehr viele Eltern beide arbeiten müssen und es auch viele Alleinerziehende gibt, bleibt für die Kinder in der Regel zu wenig Zeit übrig. Das schlechte Gewissen, dass Eltern deswegen haben kompensieren sie meist damit, dass es ja andere Schuldige gibt, wenn sich ihr Kind auffällig verhält. Die heißen dann eben ADHS oder Hochbegabung.


    Dass Kinder mittlerweile so zappelig sind, hängt meines Erachten auch mit den ganzen Reizüberflutungen zusammen, denen sie täglich ausgesetzt werden. Als es noch keine ungezählten Fernsehprogramme und Computer gab, haben die Kinder ihr Unruhepotential nach draußen getragen und haben mit Hilfe ihrer eigenen Phantasie Spiele erfunden oder erprobt. Heute können sie zwar brav stundenlang vor Fernseher oder Computer still sitzen, aber dann geht das in der Schule nicht mehr.


    Ich denke, dass die meisten Kinder schon normal sind, aber von ihrer Umwelt "unnormal" gemacht werden. Hier muss dringend ein wesentlicher Umschwung ansetzen. Wir brauchen wieder Eltern, die Zeit für ihre Kinder haben. Und Kinder, die wieder wie Kinder leben können und nicht wie zu klein geratenen Erwachsene, die zu Hause auch noch still sein müssen und deshalb als Babysitter Fernseher und Computer zur Verfügung haben.


    Leider liegt das Problem in unserer Gesellschaft, die das alles nicht mehr zulässt und um die zu ändern, haben wir Erwachsenen meist nicht mehr die Kraft oder die Solidarität.

    Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient.

  • Zitat

    Benedikte schrieb am 23.09.2006 00:24:
    Hier in Kanada ist es aber komplett anders, hier reissen sich alle um normale Kinder und weder Hochbegabung noch ADHS ist hier ein Thema.


    Interessant, dass du das so beschreibst.
    Ich habe gerade in einem anderen Forum bei einer HB-Diskussion gelesen, dass es in Kanada eine besonders gute Förderung für getestete HB Kinder gibt.


    Es gibt Kinder, die bereits in der Grundschule durch ihre HB auffallen (und ev. !!!! Probleme bekommen), genauso gibt es Kinder, denen es ihr ADS/ADHS erschwert "normal" zu lernen.


    Aber auch mich erstaunt auch immer wieder, wie viel doch 2 % sind.
    Eine sehr kompetente Schulpsychologin sagt mal auf einer Fortbildung zu diesem Thema: wenn die Eltern eine HB für ihr Kind attestiert haben wollen, dann finden sie auch irgendwann einen Psychologen, der ihnen einen entsprechenden Schrieb gibt.



    Petra

  • Zitat

    Benedikte schrieb am 23.09.2006 00:24:
    Aber hier passt er auch- jedenfalls wenn man auch als Nichtlehrer schreiben darf.



    :):)


    Meines Wissens dürfen hier im Forum nur noch Lehrer schreiben. :(

  • Ja, Anja hat Recht. Wie du den Forenregeln entnehmen kannst, wurde der Kreis der Schreibberechtigten aus verschiedenen Gründen vor einiger Zeit auf Lehrer und in der Lehrerausbildung befindlichen Personen eingeschränkt. Wir freuen uns aber, wenn du deine Fragen im Schwesterforum www.schulthemen.de stellst, in dem viele von uns auch mitlesen und -schreiben.


    Viele Grüße
    Britta

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