Kind kann nicht schreiben!!!

  • Hallo,


    ich habe in meiner dritten Klasse einen Jungen, der mir gleich in der ersten Schulwoche aufgefallen ist, weil er auffallend schlecht schreibt und außerdem auch beim Rechnen immer wieder die Zahlen verdreht. Da hab ich kurz mit der Lehrerin von der 1./2. Klasse gesprochen; sie meinte, dass die Eltern ihn auf Legasthenie testen wollten, wusste aber nicht, ob sie's gemacht haben bzw. was dabei rauskam.
    Paar Tage später erfuhr ich vom Vater, dass sie gerade dabei sind, ihn testen zu lassen und der Kinderpsychologe der Meinung wäre, dass er höchstwahrscheinlich tatsächlich Legastheniker ist. Allerdings soll es noch ca. 4 Wochen dauern, bis das Ergebnis endgültig feststeht.
    Jetzt hab ich das Problem, dass er keinen Eintrag von der Tafel so abschreiben kann, dass man überhaupt herauslesen kann, was das sein soll, d. h. kaum ein Wort ist richtig geschrieben. Das hat natürlich auch zur Folge, dass er z. B. keine Hefteinträge lernen kann, weil er sie selbst nicht lesen kann. Die Vorgänger-Lehrerin meint allerdings, dass es in der zweiten Klasse nicht so extrem war, das er offensichtlich immer schlechter wird auf diesem Gebiet. Dabei achte ich immer darauf, ihn nicht bloßzustellen.
    Meine Frage ist: Was mach ich mit ihm? Selbst wenn wirklich attestiert ist, dass er Legasthenie hat, kann ich ihm nicht die Arbeit abnehmen und seine Hefteinträge schreiben. Andererseits ist er offensichtlich nicht in der Lage, einige Sätze (oder auch nur einzelne Wörter) einigermaßen richtig von der Tafel abzuschreiben.
    Hat jemand Erfahrung mit solchen Kindern? (Ich bin ja auch noch im Referendariat, hab wirklich kaum Erfahrung.) Ich will ihm helfen, weiß aber nicht wie. Denn ich denke, wenn ich alles für ihn selber schreibe, bemüht er sich vielleicht irgendwann gar nicht mehr... ?(


    LG, Judit

  • So aus der Ferne tippe ich eindeutig auf eine TLS!


    Versuche den Text für das Kind erst mal auf das Wesentliche zu reduzieren. Die Fülle mach das Ganze unüberschaubar,
    -manchmal ist weniger mehr.


    Gibt ihm die Möglichkeit direkt von einem Zettel auf deinem Tisch abzuschreiben und Wort für Wort dort zu verfolgen.
    Bereits Geschriebenes darf nach genauem Vergleichen auch weggstrichen werden.
    Wenn er ein Wort falsch geschrieben hat, streiche es ganz durch und schriebe es ihm gut lesbar nochmals als Ganzes dazu.


    Das könnte erstmals helfen. Natürlich ist professionelle Hilfe nötig. Vielleicht kann der Therapeut dir dann auch noch Ratschläge geben. Auf alle Fälle braucht der arme Wurm jetzt jede Menge Motivation, damit er nicht kapituliert.


    Also versuche ihm einfach so mit der Aufgabenstellung entgegen zu kommen. Das wird ihm vorerst helfen.


    Alles GUTE euch 2!

  • Hallo!


    Das, was Koritsi schreibt, finde ich auch gut. Außerdem würde ich ihm für den Hefteintrag vielleicht ein AB geben, bei dem er nur noch einige Schlüsselbegriffe eintragen muss, so dass er nicht den ganzen Eintrag schreiben muss.


    Liebe Grüße,
    biene maja

  • Hallo,


    das Verdrehen von Zahlen und Buchstaben deutet auf Probleme mit der Raum-Lage-Orientierung hin.
    Und Abschreiben von der Tafel gibt oft Probleme, wenn die Kinder nicht fähig sind, von nah auf fern umzuschalten und mit den Augen zu fixieren.


    Der Vorschlag, auf Wesentliches zu konzentrieren ist sicherlich gut, aber Falsches durchzustreichen bringt meiner Meinung nach nur größere Demotivation mit sich, weil das Kind bei jedem Wort sofort seine Fehler angekreidet bekommt. Es ist sich des Problems sicherlich schon so bewußt und nicht glücklich damit, zumal du schreibst, dass es seine eigenen Sachen nicht lesen kann.
    Ich weiss, dass die Kinder zu selbständiger Arbeit erzogen werden müssen, aber in diesem Fall würde ich es für sinnvoller halten, dem Kind die Hausaufgaben auf einem Zettel zu überreichen, damit es wenigstens die Chance hat, sich mit der tatsächlichen Hausaufgabe zu beschäftigen. Stures Üben und auf den Fehlern herumreiten wird nichts bringen, solange die Ursachen nicht geklärt und behandelt sind.
    Und ansonsten würde ich das komplette Programm der Wahrnehmungsfunktionen testen lassen.


    Grüße
    Ute

  • Das Durchstreichen hab ich nicht als Demotivation empfohlen sondern für den Fall, dass die Schulübung als Voraussetzung für die Hausübung gedacht ist. Das habe ich nur angesprochen, weil es für dieses Kind (mit möglicher Intermodalschwäche) total schwierig ist, deine Verbesserungsvorschäge in sein falsches Wort einzubauen um es so richtig geschrieben verwenden zu können.


    Verbesserung ist absolut unnötig, das steht fest. Übung im herkömmlichen Sinn bringt sicher nichts. Da müssen die Teilleistungen für sich trainiert und verbessert werden, bevor sie vernetzt werden können.

  • Hallo Jutta,


    nein du wirst ihm seine Hefteinträge nicht selber schreiben können, aber du könntest einiges als kopiertes Blatt mitliefern, oder von einem Mitschüler kopieren. Ich vermute die Eltern zahlen die Kopien gerne, wenn sie Hilfe für ihr Kind bekommen.
    Und nein, streiche nicht alles falsche an oder durch, das ist so was von traurig für das Kind. Übrigens können diese Kinder oft auch nicht vom Buch ins Heft schreiben, also ist der Zettel zum Abschreiben auch nicht die Lösung.
    Den Stoff den andere Kinder in Arbeiten schreiben, könntest du ihn z.B. mündlich abfragen, so scheitert die Zensur nicht an der unleserlichen Schrift oder den vielen Fehlern.


    Ich glaube auch nicht, dass solche Kinder sich bei zu viel Hilfe ( es gibt dabei übrigens nie zu viel Hilfe), nicht mehr bemühen. Sie leisten doch so viel mehr als die anderen Kinder. Ich möchte nicht wissen, wie lange bei dem Jungen die Hausaufgaben an Zeit in Anspruch nehmen, er muss sie erst mal erfahren, weil im HA Heft sind sie ja unleserlich, dann muss er sie machen und das so, dass etwas zu lesen ist, sich Wissen über das Lesen zu erarbeiten dürfte auch schwierig sein. Da fällt mir ein, wie schlecht kann er lesen, davon hast du gar nichts geschrieben.
    Vielleicht kann er auch etwas besser schreiben, wenn er es in Druckschrift machen kann?


    LG Legata

  • Ich lege meinem Legastheniker den Text fertig aufbereitet auf den Tisch - von dort schreibt er ihn ab, mal besser, mal weniger gut, je nach Verfassung. Das mache ich auch so bei Texten, die er selber bearbeiten muss, und dann abschreiben (z.B. Endlostexte,...).
    Ich sehe, dass er sich bemüht, das ist SEIN Lernziel. Da er bereits L-Stunden bekommt, erwarte ich für irgendwann eine Verbesserung .


    MEIN Ziel heißt, ihn so wenig wie möglich zu demotivieren, da er sonst komplett zumacht, und gar nix mehr tut.
    Heuer (dritte Klasse) hat er mich erstmals gebeten, nach dem Lesefrühstück weiterlesen zu dürfen - das finde ich für ihn schon einen immensen Erfolg. Bis dahin hat er jegliches Lesen verweigert, umgangen oder sonst etwas.

  • Hallo nochmal!


    Ich hab mir auch schon überlegt, ihm den Eintrag auf ein Blatt zu schreiben, damit er von dort abschreiben kann. Oder eben auch ihm nur einen Lückentext zu geben. (Übrigens schreibt er aus dem Buch genauso fehlerhaft ab wie von der Tafel.)


    Mein Problem ist: In dieser Klasse gibt es außer ihm keine Legastheniker. Selbst bei ihm steht die Diagnose noch nicht. Das heißt, wenn ich ihn jetzt plötzlich anders behandle, werden die anderen Kinder dies als "unfair" empfinden. Bis zum Ende des letzten Schuljahres hat er ja auch ganz normal mitgeschrieben. Also müsste ich mit der ganzen Klasse über das Thema sprechen und ihnen die Sache erklären.
    Da weiß ich nun nicht so recht, wie ich so etwas achtjährigen Kindern erklären kann, so dass sie das Problem von dem Jungen verstehen und ihn nicht auslachen. Außerdem, was mach ich wenn der Psychologe ihm doch kein LRS bescheinigt (ist ja noch nicht ganz sicher)?


    LG, Judit


  • Das würde mich doch stark wundern! Und zwar einerseits, dass dieser Bursche an KEINER TLS leidet
    und 2. dass er echt der einzige Legastheniker in der Klasse sein sollte.
    Also bis jetzt hatte ich in jedem Durchgang 3-6 unterscheidlich stark beeinträchtigte Legastheniker. Manche Kinder kompensieren recht gut, aber verheimlichen kann's keiner.

  • Das überrascht mich auch. Hab zwar noch nicht so viel Erfahrung, aber ich kenne das auch so, dass in jeder Klasse ein paar Kinder mit solchen Schwierigkeiten dabei sind.
    Bisher ist mir jedoch auch bei keinem anderen Schüler etwas aufgefallen, wobei ich dazu sagen muss, dass ich die Klasse erst seit drei Wochen hab. Aber auch meine Vorgängerin - die immerhin schon seit ca. 40 Jahren GS-Lehrerin ist - meint, dass sie bei keinem anderen Schüler den Verdacht auf LRS hatte.


    Zum anderen Punkt: Es würde mich auch sehr wundern, wenn er doch kein LRS hätte, denn seine Schwierigkeiten sind doch sehr auffällig. Aber ich kann den anderen Kindern von keiner Diagnose erzählen, die noch gar nicht feststeht.
    Was ich außerdem nicht verstehe: Wieso vermehren sich seine Probleme jetzt so sehr? In der zweiten Klasse war er laut Klassenlehrerin auch sehr schwach (im Lesen und Schreiben), deswegen sollte er getestet werden, aber irgendwie kam er trotzdem mit. Jetzt kann er ein paar Sätze (z. B. Merksätze) nicht so von der Tafel abschreiben, dass überhaupt jemand sie lesen kann. Wie soll er sie dann zu Hause lernen? (Ich habe zwar kein HSU in der Klasse, aber auch da werden größte Probleme auf ihn zukommen, wenn er Einträge zu Hause lernen soll...


    LG

  • Hallo,
    wurden seine Augen überprüft?
    Mache doch einen einfachen Sehtest. Vielleicht kann er die Sätze an der tafel nicht richtig lesen und bemerkt es selbst nicht.

  • Hallo,


    mal eine Frage von einem Laien.


    Wieso wurde das Kind überhaupt versetzt?


    Wenn die Leistungen in Lesen und Schreiben dermaßen schlecht waren, hätte unsere GS ihn gnadenlos eine Ehrenrunde drehen lassen oder sogar schon für die Sonderschule empfohlen (der Weg ist nicht weit, Nachbargebäude).


    Aber das Problem scheint tiefgründiger zu sein als Legasthenie, denn so verlernt m.W. selbst ein Legastheniker nicht.


    Ich wünsche viel Glück, vor allem für das Kind.


    Doris

  • Hallo Judika,


    ich denke mal der Stoff der 3. Klasse gegenüber der der 1. und 2. ist erheblich mehr. Da kann das Kind dann z.B. die Texte aus dem Lesebuch nicht mehr auswendig lernen. Bei LRS Kindern geht so etwas sehr schnell und so bemerkt oft Niemand, dass sie gar nicht lesen können.
    Dann dürfte der Schüler selber auch schon sehr gut bemerkt haben, dass er weit hinter den anderen Kindern liegt, das senkt das Selbstbewußtsein sehr stark. Der Schüler selber denkt bald dass er dumm ist und wird dadurch noch schlechter als er mit der LRS sein müsste.


    Die Kinder in diesem Alter sind eigentlich immer noch sehr offen für die Probleme ihrer Mitschüler. Du kannst ihnen ja sagen, dass er zu einem Test muss und so lange eben anders bewertet wird. Ein Kind welches sich den Fuß verletzt hat, und zum Arzt muss, kann ja auch eine Weile keinen Sport mitmachen.


    Wenn die Eltern da nicht einspringen und die Merksätze von Mitschülern abschreiben und dann mündlich lernen lassen, hat der Junge keine Möglichkeit an der Schule zu bestehen, obwohl er aller Wahrscheinlichkeít nach einen recht guten IQ hat. Ob sich die Eltern der Verantwortung so stark bewußt sind?


    LG Legata

  • Zitat

    Aber das Problem scheint tiefgründiger zu sein als Legasthenie, denn so verlernt m.W. selbst ein Legastheniker nicht.


    Da in der Dritten die Anforderungen in allen Fächern stark anziehen, kommt es durchaus vor, dass Kinder dann plötzlich ganz abruthen, demotiviert sind auch vor Gekonntes nicht mehr können.


    ferndiagnosen sind gefährlich.


    Bablin

    Wer hohe Türme bauen will,
    muss lange beim Fundament verweilen.
    Anton Bruckner


  • 1)
    Ich 'behandle' jeden zweiten Schüler wegen irgendetwas anders, als den Gros der Klasse - die Schüler verstehen durchaus, dass jeder das bekommen muss, was er braucht, nicht das, was für alle gleich ist. Sind ja lauter Individuen, die man nicht einfach über einen Kamm scheren kann.
    Aber das ist vielleicht eine generelle Einstellungssache.


    2)
    Eigentlich ist es egal, ob er Legasthenie hat oder eine Teilleistungsstörung oder was immer - die Aufgabe als Lehrer sollte sein, ihn "da abholen wo er steht", ihm also in seinen jetztigen Bedürfnissen entgegenkommen, damit ein Lernzuwachs möglich ist.


    @ Doris: Warum ein Kind trotzdem versetzt wird? Ich kann als Beispiel nur für meinen Schüler sprechen - weil er ein überaus intelligenter Bursche ist, dem ohnehin viele Prügel im Weg liegen; er wird nicht besser lernen, wenn er noch mehr demotiviert wird.

  • Hallo!


    Hab mit dem Kind gesprochen und ihm klar gemacht, dass ich seine Probleme verstehe und dass er sich deswegen nicht schämen muss. (Er hat selbst große Probleme damit, hat immer Angst sich zu blamieren.) Hab ihm auch versprochen das Thema in der Klasse mal anzusprechen.


    Nach diesem Gespräch (zwischen ihm und mir) hat er den nächsten Eintrag eigentlich viel besser hinbekommen, vielleicht weil der Druck von ihm weg war? Auf jeden Fall kann man lesen, was er schreibt, auch wenn natürlich viele Fehler drin sind.
    Ich hab ihn auch mit Bleistift schreiben lassen. Jetzt hab ich überlegt, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn ich seine Fehler einfach ausradiere, weil mit Durchstreichungen könnte ich ihn wieder demotivieren. Was meint ihr dazu?

  • Hallo Juditka,


    hast du schon mal mit den Eltern gesprochen, ob weitere Auffälligkeiten bestehen?
    Spielt er Ball, spricht er gut, wie ist die Motorik? Sieht und hört er richtig, wie sieht's mit der allgemeinen Aufmerksamkeit aus?


    Vielleicht findest du hier noch etwas, dass Licht in die Sache bringt:
    http://www.pi-tirol.at/lrs/Vortrag%20Gudrun%20Kesper.doc
    http://www.lcch.co.uk/hypnosisarticles/dyslexia.htm (englisch)


    Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, jeden Fehler anzustreichen, denn das ist bei Schwierigkeiten in dem geschilderten Ausmaß nicht das eigentliche Problem.
    Verständnis, Geduld und Stärkung des Selbstbewußtseins ist erstmal wichtiger.


    Grüße
    Ute

  • Selber ausradieren würde ich nicht - ev. den Schüler ausradieren lassen, oder nur ein paar Punkte rausnehmen (unten dran verbessern lassen) und den Rest nicht anstreichen, oder mit Bleistift, wenn der Schüler Bleistift verwendet, unterstreichen,... .

  • Hallo!


    Das neueste in diesem Fall:


    Der Junge (mein Schüler) war jetzt einige Male beim Kinderpsychologen. Dabei wurde festgestellt, dass er einerseits eine LRS hat (was ich ja auch schon gedacht hab), aber auch eine ADS. Wobei der Psychologe der Meinung ist, dass die ADS schlimmer wäre in seinem Fall, als die LRS, die würde durch die Aufmerksamkeitsstörung nur verstärkt. Jetzt haben die Eltern sich entschlossen, es mit Ritalin zu versuchen.
    Und: Obwohl sie vom Psychologen ein Attest für die Schule wegen der LRS bekommen würden, wollen sie es erstmal nicht einreichen. Sie wollen sehen, ob es der Junge vielleicht mit Ritalin besser hinbekommt. Dabei tut er mir leid, letzte Woche musste ich ihm eine Sechs in RS geben, da hat er wieder geweint. Aber was soll ich denn machen???

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